Der Wechsel von Classic Mac OS auf OS X. Das ist eine schwere Aufgabe: ein hochrespektiertes OS, aber veraltet und nicht mehr zukunftsfähig, auf ein neues modernes OS ohne jegliche Reife, fehlende Funktionalitäten und fehlende geschätzte Komfortmerkmale zu migrieren.

Das eine war das klassische Mac OS. Das andere, OS X, sollte laut Steve Jobs und Avie Tevanian die Zukunft sein.
Diese Geschichte folgt in der Zeitlinie nahtlos meinem Bericht über die 500 Tage von Gil Amelio bei Apple. Sie läuft von Mitte 1997 bis zur Veröffentlichung von OS X Snow Leopard im Jahr 2009. Apple selbst beschreibt die Kernphase der Migration von Classic OS zu OS X als den Zeitraum 2001 bis 2003.
Erfahrungsberichte der Transition von Classic Mac OS auf OS X
Um diesen Beitrag zu schreiben habe ich mich an der Masterarbeit von Marin Balabanov orientiert. Vielen Dank für die vielen zusammengetragenen Fakten. Ich kann diese Arbeit uneingeschränkt zur Lektüre empfehlen. Ich werde die Fakten hier allerdings sehr komprimieren.
Ein weiterer interessanter Bericht, den ich als Vorbereitung auf diesen Beitrag angeschaut habe, ist von unseren Freunden von Mac TV, die seit über 20 Jahren Apple begleiten und natürlich auch diese OS Transition mitgemacht haben. Im Jahr 2011 haben sie zum 10-jährigen Jubiläum von OS X ein großartiges Video (10 Jahre OS X – 1. Teil: Geschichte und Versionen) erstellt. Ihr findet diesen Bericht auf ihrem umfangreichen Mac TV Filmarchiv unter der Filmnummer 1514. Auch diesen Film und viele weitere kann ich sehr empfehlen.
Und zum Abschluss wollte ich noch den Chief Technology Software Officer der damaligen Zeit (bis 2006 in dieser Rolle, bevor er Apple verließ) zu Wort kommen lassen. Ab Position 1:05h wird es interessant.
Apple ganz weit am Boden
Steve Jobs hatte 1997 die Aufgabe übernommen die Apple-Plattform wieder attraktiv zu machen. Dafür wurde mit der
- Think Different-Kampagne,
- der drastischen Reduzierung der Produktpalette,
- der Design-Innovation rund um iMac und iBook,
- der einseitigen Kündigung der Mac-Cloner-Lizenzverträge,
- der Veröffentlichung der letzten Classic Mac OS Version mit der Nummer 9 im Oktober 1999
und vieler weiterer Maßnahmen der Glaube in die Andersartigkeit und Zukunftsfähigkeit von Apple wieder gestärkt.
Aber die wichtigste Maßnahme war die Betriebssystemstrategie. Microsoft hatte 1995 mit Windows 95 eine so überzeugende Betriebssystemversion auf den Markt gebracht, daß Apple fast kein Alleinstellungsmerkmal am Computermarkt verblieb. Apples Betriebssystemstrategie war ganz besonders schwierig umzusetzen, da es mehrere nicht zu unterschätzende Einflussfaktoren gab, die die Einführung eines modernen Betriebssystems erschwerten.
- NeXTStep war nicht für Apples Power PC-Plattform entwickelt. Es lief vor allem auf der Intel-Plattform.
- Die großen Software-Anbieter wie Microsoft und Adobe akzeptierten nicht die Neuentwicklung ihrer Programme für eine neue moderne OS-Plattform, deren Zukunft nicht gesichert war.
- Die Mac-User waren zwar Fans von Apple und von Steve Jobs, aber sie hatten keine Lust ihre teuer erkaufte Software nicht mehr auf einer neuen Plattform nutzen zu können.
Deshalb war für Apple klar, dass diese Betriebssystem-Migration tatsächlich eine mehrere Jahre lange dauernde Reise sein würde. Dass es aber bis 2009 dauern würde, hätte wahrscheinlich keiner der Visionäre bei Apple für möglich gehalten. In diesem Jahr wurden die letzten Zöpfe zu Power PC-kompatibler Software abgeschnitten.
Classic, Carbon und Cocoa
Dieses Triumvirat an neuen Schlagworten im Apple-Wortschatz ab 1999 beschreibt drei unterschiedliche Konzepte um Software auf dem neuen OS X laufen zu lassen.

Classic
Classic war eine virtualisierte Umgebung auf Mac OS X, die zuerst ein komplettes Mac OS 9 nachlud. Auf dieser Umgebung konnten abgekapselt von den OS X-Funktionalitäten die alten Mac-Programme gestartet werden. Durch die Virtualisierung waren die Programme natürlich langsamer als auf einem Power PC Mac, auf dem Mac OS 9 direkt lief.
Da auch Apple das bewußt war, wurde die ersten Jahre Mac OS 9 auf jedem Rechner auch mit ausgeliefert. Man konnte sich also entscheiden, ob man einen Mac mit Mac OS 9 startete oder ein OS X, worauf die Virtualisierung des Mac OS 9 lief. Man nannte das Dual Boot, was ich auch auf meinem iMac G3 installiert habe.
Carbon
Carbon war ein Set von Entwicklungsbibliotheken, die man Entwicklern an die Hand gab, um mit relativ wenig Aufwand ein unter Mac OS 9 laufendes Programm auch unter OS X zum Laufen zu bringen. Man nannte diesen Vorgang carbonisieren. Damit liefen diese Programme zwar zuverlässig unter OS X, aber viele Besonderheiten des Betriebssystem konnten nicht genutzt werden.
Diese Bibliothek (Carbon) stellt eine aufgeräumte und moderat modernisierte Fassung der klassischen API dar. Sämtliche Funktionen, die den neuen Features (z.B. geschützte Speicherbereiche, präemptives Multitasking usw.) im Weg stehen, wurden umgeschrieben oder fallengelassen. Im Grunde wurde das tote Holz der klassischen Mac OS API beseitigt und durch solide Eiche ersetzt.
Masterarbeit von Marin Balabanov
Cocoa
Cocoa war schließlich die Umgebung, in der Programme geschrieben wurden, die voll auf das neue OS X ausgerichtet waren. Das war die Zukunft für den Mac.
Tatsächlich haben viele Softwarefirmen und Programmierer nur die Carbonisierung gemacht und sind selten den ganzen Weg zu Cocoa-Applikationen gegangen. Dieser Zustand dauerte recht lange an und wurde erst mit Apples Ankündigung beendet, Carbon nicht 64Bit-fähig zu machen. Wer also weitere Entwicklungen des OS X nutzen wollte, mußte dann schließlich auf Cocoa umsteigen.
Viele Firmen hatten sich mit Carbon arrangiert und wurden von dieser Ankündigung überrascht.
Migrationspfade von Classic Mac OS zu OS X
Wie man mit Classic, Carbon und Cocoa schon sieht mußte Apple viele unterschiedliche Migrationspfade anbieten, um Kunden, Entwickler und Softwarefirmen auf den Weg mit OS X mitzunehmen.
Die ersten OS X-Versionen waren auch enttäuschend bezüglich der Geschwindigkeit. Da zeigte es sich sehr schmerzhaft, daß NeXTStep, auf dem OS X aufgebaut war, nicht für Power PC-Prozessoren angepasst war. Mit jeder neuen Version änderte sich das allerdings schnell. Ab OS 10.3 Panther konnte man unter OS X endlich performant arbeiten.
Anwendern wurde die Wahl gelassen, ob sie ihren Mac unter Mac OS 9 booteten oder unter OS X. Damit konnten sie auch weiterhin ihre klassische Software unter Mac OS 9 laufen lassen. Apple deutete allerdings schon früh an, daß es nicht lange noch Updates für Mac OS 9 geben wird. Im Jahr 2002 auf der WWDC beerdigten sie Mac OS 9 dann formell im Rahmen einer Keynote.
Aqua – you want to lick it
Der Umstieg auf OS X wurde schmackhaft gemacht, indem man mit Aqua eine Oberflächengestaltung einführte, die großartig aussah. Steve Jobs sagte auf einer Keynote, daß diese Fensterelemente so schön aussahen, daß man sie ablecken wollte.
Ab OS X 10.3 Panther wurden neue Rechner nur noch mit OS X ausgeliefert. Cocoa wurde erst mit dieser OS-Version finalisiert.
Mit jeder OS X Version wurden viele neue Features eingeführt. Aber das Betriebssystem mußte noch bis OS 10.4 Tiger reifen. Erst dann hatte man das Gefühl, daß man mit der Reife von Mac OS 9 gleichgezogen hatte. Und Tiger war dann auch die erste Version, die Apple dann offiziell für Intel-Prozessoren herausbrachte, obwohl sie auf einer Keynote mitteilten, daß schon jedes OS X davor auch für Intel-Prozessoren compilierbar war.
Rosetta für die nächste Migration zu Intel
Mit Rosetta schafften sie auch hier eine Übersetzungstechnologie, die Power PC Code in Intel Code zur Laufzeit übersetzte. Natürlich war das für die Geschwindigkeit der Programme nicht hilfreich. Aber zum Glück waren die Intel Core Duo Prozessoren damals so viel leistungsfähiger als die Power PC Prozessoren, daß letztendlich kaum Geschwindigkeitseinbußen spürbar waren.
Für die Classic-Apps war mit Tiger Schluß. Auf OS X 10.5 Leopard konnte keine Classic-App mehr gestartet werden. Selbst dann nicht, wenn das OS auf einem Power PC Mac installiert war.
Die Carbon-Apps waren für Entwickler und Software-Firmen der bequeme Weg mit vertretbaren Aufwänden alte Software zu portieren. Daß man nicht alle Features von OS X nutzen konnte, war am Anfang kein größeres Problem, da OS X noch nicht als ausgereiftes Betriebssystem angesehen wurde. Auch die Kunden hatten sich an diesen Mittelweg gewöhnt. Es traf alle überraschend, als klar wurde, daß auch Carbon genauso wie Classic eine Sackgasse war. Mit Leopard kündigte Apple an, daß die Carbon API nicht weiterentwickelt werden würde und bei 32bit hängenbleiben würde. Aber es war noch bis macOS Mojave (10.14) Teil des Betriebssystems. Ab macOS Catalina (10.15) fehlt Carbon gänzlich.
Und schließlich war OS X 10.6 Snow Leopard nur noch für Macs mit Intel Prozessoren installierbar.
Es ist geschafft
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich OS X zu einem eleganten, leistungsfähigen und zuverlässigen Betriebssystem gewandelt. In den Mac vs PC Videos stellte Apple die Vorteile seines Systems gegenüber der Wintel-Plattform dar und man konnte viele PC-Nutzer zum Wechsel auf die Apple-Plattform bewegen. Mit dem Wechsel auf die Intel-Prozessoren im Jahr 2006 und der Einführung von Boot Camp gab es für vorsichtige Switcher keinen Grund mehr nicht auf den Mac umzusteigen.
Vor allem, da Microsoft bis 2009 auch Schwierigkeiten hatte eine Weiterentwicklung seines Windows XP auf den Markt zu bringen. Dort zeigte sich, daß auch Microsoft nicht so ohne weiteres in der Lage war eine erfolgreiche OS-Iteration nach der anderen herauszubringen. Windows Vista war ab Januar 2007 wegen seiner herausfordernden Hardware-Voraussetzungen am Markt nicht erfolgreich.
Apple hatte eine fast zwölf Jahre dauernde Migrationsphase abgeschlossen und seine Kunden, Entwickler und Softwarepartner mitgenommen. Sie hatten zusätzliche Kunden eingesammelt, indem sie über neue attraktive Produkte wie den iPod und das iPhone Anreize für den Einstieg in die Apple-Welt geschafft haben.
Neben der OS-Migration hat Apple fast nebenbei eine Migration auf eine neue Hardware-Plattform mit Intel-Prozessoren geschafft. Eine unglaubliche Erfolgsgeschichte, die dann mit dem iPhone erst so richtig Fahrt aufnahm.
Fazit
Apple war 1997 fast am Ende. Finanziell, strukturell, technisch, intellektuell. Es war klar, daß diese Firma nicht in der Lage war aus eigener Kraft eine Zukunft auf einem zukunftsfähigen OS aufzubauen. Steve Jobs und seinem Team ist es gelungen in einem langwierigen und geduldigen Prozess Apple aus dieser Sackgasse herauszubewegen. Apples Classic Mac OS hatte einen exzellenten Ruf bei seinen Fans. Es war ausgereift, sah toll aus und war großartig zu bedienen. Aber unter der glänzenden Oberfläche krachte es gewaltig. Das war jedem User bewußt.
Aber nur Steve Jobs traute man zu diese Mammutaufgabe zu bewältigen. Ihm wurde die Geduld entgegengebracht, die es brauchte, um die Firma, seine Kunden und die Softwarepartner auf die Zukunft neu auszurichten.
Real artists ship, sagte er schon früher. Und Apple lieferte. Zwar mit vielen Schwächen, aber mit allen möglichen Workarounds, um allen eine brauchbare Umgebung für ihre individuellen Bedürfnisse zu bieten. Die rasanten Fortschritte flößten Zuversicht ein. Und alle waren fasziniert dabei sein zu können auf diesem Weg, der so steinig aussah, als man gemeinsam 1997 startete. Für viele, die diese Zeiten mitgemacht hatten, war es eine faszinierende Zeit.
Ich selbst bin erst mit OS X 10.4 Tiger mit meinem ersten MacBook auf den OS X-Zug aufgesprungen. Aber die Beschäftigung mit dieser Zeit, die vielen Keynotes, die diese spannende Zeit dokumentieren, hat mich begeistert und mich zu einem zufriedenen Apple-Kunden gemacht, der gerne auf einem Mac, einem iPhone und einem iPad arbeitet.