Heute möchte ich über ein Thema berichten, das mir persönlich sehr am Herzen liegt. Es geht um die sogenannten Bedienungshilfen oder Accessibility-Funktionalitäten in den Apple-Betriebssystemen. Bedienungshilfen sind die Helfer für die Teilnahme am Digitalen Leben. Sogar für körperlich eingeschränkte Menschen.

Ich selbst will für mich prüfen, ob ich einige dieser Funktionalitäten nutzen kann. Ich habe eine starke, altersbedingte Hörschwäche in Verbindung mit Tinnitus auf beiden Ohren.
Darüber hinaus vereinbarte ich ein Interview mit meiner guten Freundin Lina. Sie überwindet ihre Seh-Behinderung offensiv mit Apple-Geräten. Lina berichtete mir begeistert von den Bedienungshilfen in den Apple-Geräten. Sie zeigte mir auf, wie sie dadurch besser an der Kommunikation mit anderen teilnehmen kann.
Außerdem möchte ich prüfen, wie Apple und andere Marktteilnehmer das Thema Accessibility in der Vergangenheit behandelt haben. Wie weit ist es in unseren Systemen bereits integriert?
Apples emotionale Unterstützung für behinderte Menschen
Dieser Beitrag soll nicht im Detail die vielen mittlerweile verfügbaren Bedienungshilfen auflisten. Er liefert keinen tiefgehenden Vergleich der unterschiedlichen Plattformen und ihre Stärken und Schwächen. Dazu gibt es im Netz genügend Literatur, die man einsehen kann. In diesem Beitrag werde ich solche Quellen auch benennen und empfehlen.
Ich persönlich wollte einen Beitrag über Bedienungshilfen schreiben, weil ich emotional durch Keynotes von Apple im Jahr 2016 und 2019 intensiv berührt worden bin. Enthalten waren in diesen Keynotes zwei Film-Beiträge zu behinderten Menschen. Diese beiden werden durch den Einsatz von Apples Bedienungshilfen in die Lage versetzt, zu gestalten und am Leben teilzunehmen. Einer ist über Sady, eine junge Frau, die trotz ihrer starken Behinderung einen Film mit Final Cut Pro X schneiden kann. Ein anderer beschreibt die Anwendungsmöglichkeiten von Voice Control auf dem Mac und iOS im Leben eines gelähmten Menschen im Rollstuhl.
Was sind Bedienungshilfen?
Der Begriff Bedienungshilfen suggeriert, dass einem Menschen mit körperlichen Einschränkungen geholfen wird. Er kann das eigene Computersystem in einer Weise bedienen und nutzen, dass er auf diese Weise besser am Leben teilnehmen kann.
Der englischsprachige Begriff Accessibility heißt wortwörtlich übersetzt Zugänglichkeit, was auch eine gute Beschreibung, vielleicht sogar besser als Bedienungshilfen, für die tatsächliche Funktionalität ist. Man ermöglicht also den leichteren Zugang zu dieser Technik für körperlich eingeschränkte Menschen.
Wenn man den Begriff Accessibility übersetzen lässt, dann erscheint das Wort Barrierefreiheit, welches heutzutage in der Literatur für alle Formen von Unterstützung für körperlich eingeschränkte Menschen verwendet wird.
Bedienungshilfen auf Computern
Bedienungshilfen sind also alles Funktionalitäten, die die Benutzung von Computern, Smartphones und Tablets erleichtern. Dabei stellen das Betriebssystem, der Browser und die Applikationen Funktionalitäten zur Verfügung, die es Menschen mit körperlichen Einschränkungen erleichtert, die Inhalte richtig zu erfassen und mit den Geräten zu interagieren, zu kommunizieren und damit am wahren Leben besser teilnehmen zu können.
Ein absolut empfehlenswerter Artikel – sogar in einfacher Sprache geschrieben – erläutert die Teilnahme am wahren Leben sehr ausführlich. Auch wenn der Artikel schon ein wenig älter ist, so geht er auf die grundlegenden Konzepte ein, die auch heute noch gültig sind.
Beispielsweise kommt man unter Windows 10 über Erleichterte Bedienung im Startmenü auf Funktionalitäten wie die Bildschirmlupe, Bildschirmtastatur, Sprachausgabe und Windows-Spracherkennung. Aber es gibt noch viel mehr Funktionalitäten, die man unter den Einstellungen/Erleichterte Bedienung findet.
Unter iOS sind Bedienungshilfen in den Einstellungen recht weit oben zu finden. In diesem Menüpunkt findet man die Gruppen Sehen, Hören, Physisch und Motorisch und Allgemein, unter denen dann die einzelnen Funktionalitäten konfiguriert werden können.
Geschichte der Bedienungshilfen
Ich beschränke mich bewußt in dieser Betrachtung auf Software.
Microsoft und Accessibility
Im Jahr 1988 wurde mit dem Access Utility für Windows 2.0 ein erster Versuch von Bedienungshilfen in Microsofts graphischem Betriebssystem eingeführt. Ab 1992 wurde bei Microsoft eine Stelle für einen Accessibility-Verantwortlichen geschaffen. Diese Rolle übernahm für viele Jahre Greg Lowney. Über die Jahre mußte er zugeben, daß Microsoft hier zu wenig getan hat. Schließlich wurde im Jahr 1997 das Microsoft Active Accessibility (MSAA) Programm veröffentlich. Erst mit Internet Explorer 5.0 wurde der Browser für behinderte Menschen wieder nutzbar. Aber dafür war ein starker Druck auf Bill Gates erforderlich, der die Herausforderung annahm und die Verbesserungen beauftragte.
Über viele Jahre waren allerdings spezielle technische Tricks erforderlich, um Screen Reader in die Lage zu versetzen, Text und Text-Strukturen von Windows-Bildschirmen auslesen zu können. Es bildete sich eine kleine Industrie von Speziallösungen wie Windows-Eyes oder JAWS für sehbehinderte Menschen heraus.
Heute blickt Microsoft auf eine lange Entwicklung seiner Bedienungshilfen zurück.
Apple und Accessibility
People with disabilities often find themselves in a struggle to have their human dignity acknowledged. They are frequently left in the shadows of technological advancements that are a source of empowerment and attainment for others. As Apple’s engineers push back against this unacceptable reality, they go to extraordinary lengths to make our products accessible to people with various disabilities from blindness and deafness to various muscular disorders. We design our products to surprise and delight everyone who uses them, and we never, never ever analyze the return on investment. We do it because it is just and right, and that is what respect for human dignity requires, and it’s a part of Apple I’m especially proud of.
Tim Cook in einer Rede 2013
Apple hat keine so lange Geschichte bei der Integration von Bedienungshilfen in seine Betriebssysteme. Mit der Veröffentlichung von OS X 10.2 Jaguar führte Apple erstmals Universal Access ein. Es war ein erster Versuch, aber erst mit OS X 10.4 Tiger und der Vorstellung von VoiceOver änderte sich das. Von da an reiften Jahr über Jahr die bestehenden Funktionen und es kamen immer neue Bedienungshilfen dazu. Zum Beispiel erhielt der iPod Nano, ein Gerät ohne jedes Display eine VoiceOver-Funktionalität, die nicht nur für Sehbehinderte hilfreich war, sondern für alle Benutzer dieses Geräts.
Apple hat es sich zum Ziel gesetzt, alle ihre Geräte, Software und Services zugänglich für alle Menschen zu machen. Auch wenn sich diese Aufwände selten wirtschaftlich rechnen, so verteidigen doch Apple und sein CEO Tim Cook immer wieder diese Maßnahmen. Selbst gegen Shareholder, die Apple doch tatsächlich aufforderten alle Maßnahmen zu unterlassen, die keinen passenden Return on Investment liefern würden.
Schließlich stellte Apple auf einer Keynote im Oktober 2016 die Bedienungshilfen in den Mittelpunkt und präsentierten die neue Accessibility-Website.
Bedienungshilfen erklärt durch Apple
Mittlerweile sind Bedienungshilfen tief in alle Betriebssysteme von Apple integriert. Die Infoseiten für die einzelnen Betriebssysteme erläutern im Detail und sehr anschaulich die Anwendung der Bedienungshilfen auf den Plattformen.
Das folgende YouTube-Video stellt die Geschichte von Accessibility bei Apple vor.
Und wer noch genauer wissen möchte, welche Bedienungshilfefunktionalitäten Apple in welcher Betriebssystem-Version erstmals vorgestellt hat dem empfehle ich den Artikel „A Timeline of Apple Accessiblity“ (Link).
Erfahrungsberichte
Das Netz ist voll von Erfahrungsberichten von behinderten Menschen über Bedienungshilfen auf den unterschiedlichen Plattformen. Eine Webseite, die ich absolut empfehlen kann ist von Marco Zehe, der als Sehbehinderter bereits über viele Jahre sich dem Thema Bedienungshilfen gewidmet hat. Besonders seine drei Berichte über den Umstieg von iOS auf Android, seine Erfahrungen mit Android und wieder zurück zu iOS sind sehr interessant.
Nachtrag 31.5.2021: anscheinend ist der Blog von Marco Zehe zur Zeit nicht zu erreichen. Ich habe den Autor angeschrieben und darauf aufmerksam gemacht.
Nachtrag 27.7.2021: offensichtlich hat Marco Zehe seinen Blog wieder aktivieren können.
Interview mit Lina
Viel wichtiger war für mich aber das Interview mit Lina. Lina hat eine starke Seh-Behinderung und zeigt bewunderungswürdig, wie man diese Nachteile mit den heutigen technischen Möglichkeiten kompensieren kann. Ich kenne keinen Menschen, der kommunikativer und lebensfreudiger ist. Trotz dieser Einschränkungen eine solche positive Einstellung zum Leben zu haben, ist ihre ganz besondere Stärke. Und sie läßt andere von ihren Erfahrungen und ihrer Stärke profitieren. Tatsächlich ist sie ein erfolgreicher Personal Coach.
Ich war gespannt von ihr zu hören,
- wie Apple ihr hilft,
- was besonders gelungene Bedienungshilfen sind
- und wo es aus ihrer Sicht noch Verbesserungen gibt.
Sie hat in der Vergangenheit Erfahrungen mit Windows Betriebssystemen und speziellen Lösungen zum besseren Erkennen von Inhalten auf dem Bildschirm gemacht. Diese Lösungen waren sehr kostspielig. Eine finanzielle Förderung durch Behörden konnte beantragt werden und wurde genehmigt.
Früher hatte sie auch Klapphandys von BenQ im Einsatz mit grosser Textdarstellung von SMS. Eine kostspielige Screenreader Software (379€) konnte auf diesen und auf wenigen anderen Handy-Typen installiert werden.
Nutzung von Apples Bedienungshilfen als Helfer im Digitalen Leben
Den Einstieg in die Apple Welt hat sie mit dem iPhone 4S gemacht. Siri wurde auf diesem Gerät erstmals eingeführt. Mittlerweile hat sie auch ein MacBook, ein iPad und eine Apple Watch im Einsatz. Sie hat persönlich die englische Siri-Stimme eingestellt. Die englische Siri reagiert auf allen Gerät gleich, während die deutsche Siri-Implementierung je nach Gerät sehr unterschiedlich reagiert.
Sie hat festgestellt, daß es für Apple-Geräte keine Förderung durch Behörden gibt, obwohl diese die Bedienungshilfen alle schon kostenlos im Betriebssystem integriert haben.
Für ihre spezielle Situation benötigt sie vor allem die Vergrößerung der Inhalte auf den Screens und VoiceOver. Typische VoiceOver Use Cases sind die Internet Recherche im Browser und die Ansage von Überschriften.
Da die meisten Apps die von Apple bereitgestellten Funktionen nutzen können, ist die Bedienung über die meisten Apps einheitlich anwendbar. Aber gerade die großen App-Anbieter auf der Apple-Plattform, wie Microsoft und Google, schwächeln hier. Deren Applikationen unterstützen die Bedienungshilfenfunktionalität nicht. Meistens liegt das daran, daß die Apps nur auf die Apple-Plattformen portiert werden und nicht die Apple-APIs einsetzen.
Barrierefreiheit auf Webseiten und Geräten
Auch Webseiten sind nicht immer barrierefrei. Bei Linked In kann man keine Nachrichten vorlesen. Auch bei Instagram ist das nicht möglich. Es gibt also noch viel zu tun.
Ein wichtiges Gerät ist für sie die Apple Watch geworden. Natürlich muß sie die Vergrößerung des Screens auf der Apple Watch nutzen. Und VoiceOver zur Sprachsteuerung der Watch. VoiceOver ist gut für diejenigen, die überhaupt nicht mehr sehen können.
Auf dem Desktop sind es Kleinigkeiten wie Ordner in einer immer gleichen Positionierung auf dem Screen. Z.B. Kommunikationsordner mit Kommunikations-Apps. Das Ziel ist es so wenig Zeit wie möglich mit der Suche nach Applikationen zu verschwenden.
Auf die Frage was sie als eine dringende Verbesserungsidee sehen würde, antwortete sie, daß Google Docs ebenfalls die Accessibility-Funktionalitäten nutzen sollten. Dies ist das für sie beste Office-System, aber leider nicht für Behinderte auf der iOS-Plattform angepasst. Auch die Fokusverfolgung fehlt bei Google Docs.
Ihr Fazit ist: die Teilhabe an der digitalen Welt gilt für alle, die ein modernes Gerät haben, das inklusiv ist.
Und meine Erfahrungen?
Meine eigenen Erfahrungen mit Bedienungshilfen auf den unterschiedlichen Systemen sind überraschenderweise auch recht vielfältig. Auf den neuen High DPI Screens von Laptops und iMac sind die Mauszeiger für mein Auge zu klein. Dankenswerterweise kann man diese vergrößern und zur besseren Sichtbarkeit auch gleich schwarz einfärben. So erkenne ich die Position des Mauszeigers viel besser. Auch eine Mausspur bei Bewegung angezeigt hilft den Mauszeiger besser zu orten.
Als ich jetzt meinen neuen Mac Mini M1 aufsetzte suchte ich eine Funktion, die ich seit Jahren auf meinen Macs verwendet habe und die ich nun auch wieder konfigurieren wollte. Es ist die Verschiebung von Fenstern mit einem Dreifinger-Drag auf dem Fenstertitel. Überrascht mußte ich feststellen, daß Apple diese Funktion mittlerweile unter Bedienungshilfen „versteckt“ hatte.
Vor kurzem kam mein Freund Jake mit dem neuen Apple AirPod Max an und ich durfte mal probehören. Der Klang war großartig und ich habe mich in der Folge mit den Bedienungshilfenfunktionalitäten der Apple AirPods beschäftigt. Dort bin ich auf eine interessante Möglichkeit gestoßen, die dabei helfen soll eine Gehörschwäche auszugleichen. Dafür benötigt man auf dem iPhone ein Audiogramm, was man mit dem Mimi Hörtest erstellt. Das wird unter Apple Health gespeichert und kann dann vom AirPod Pro verwendet werden, um den Frequenzgang der eingespielten Musik oder Stimmen gemäß der Hörschwäche anzupassen. Diese Möglichkeit hat mich erstmal fasziniert. Aber ich mußte feststellen, daß dadurch die Höhen so sehr verstärkt wurden, daß ich diesen Klang als nervend wahrnahm.
Die nächste Herausforderung für mich war die Einbindung von Hörgeräten in mein wahres Leben. Aber auch hier hilft Apple mit der Bedienungshilfe Hörhilfen weiter. MFi-kompatible Hörgeräte vorausgesetzt, binden die sich komplett in iOS ein und unterstützen mich optimal. Ein Beitrag über die Signia Active Pro zeigt, wie mein Digitales Leben durch Apple und Hörgeräte bereichert wird
Sind Bedienungshilfen gute Helfer im Digitalen Leben?
Egal welche körperliche Einschränkung man hat – bei mir altersbedingte Weitsichtigkeit, Tinnitus und eine Schwerhörigkeit – ist es gut, daß es Bedienungshilfen in unseren technischen Plattformen gibt, die eine Barrierefreiheit ermöglichen. Die Teilnahme am wahren Leben durch digitale Helferlein ist ein wichtiger Beitrag durch Firmen wie Microsoft, Google und Apple. Wie sich zeigt, ist dies ein evolutionärer Prozess, der Zeit braucht, damit die Bedienungshilfen bei den Anwendern reifen können. Ich bin gespannt, wie weit wir kommen werden. Jarvis, der persönliche Assistent von Tony Stark und Iron Man ist für mich das erstrebenswerte Ziel.