80er Atari Commodore Computer Geschichte(n) Software

Der Atari ST, das GEM, sein Multitasking und alternative Desktops

Lesedauer: 18 Minuten Der Atari ST lernte erst spät Multitasking und alternative Desktops waren eine Besonderheit dieser faszinierenden Plattform

Der Atari ST ist der Computer, der mich von 1988 bis 2000 begleitet hat. Eine sehr lange Zeit für einen Computer mit 4 MB Speicher und 60 MB Festplatte. Der Atari ST wurde spät mit echtem Multitasking ausgestattet und erhielt in der Folge immer neue alternative Desktops. Während dieser Zeit wurden die PCs immer leistungsfähiger und überholten meinen maximal gepimpten Atari Mega 2. Auf diesem Computer habe ich meine Diplomarbeit geschrieben. Als ich meinen ersten Job in Frankfurt antrat hat er mich begleitet, bevor er schließlich 2000 durch einen Pentium II-Desktop von Fujitsu Siemens ersetzt wurde.

Entwickelt wurde dieser Rechner im Jahr 1984 in einer Rekordzeit von fünf Monaten.

Der Atari 1040ST mit SC1224 Farbmonitor und Maus.
Atari ST (Quelle: Bill Bertram, 2006)

Diese Geschichte ist sehr interessant und fängt an mit der Übernahme von Atari durch Jack Tramiel und seinem Team.

Ich möchte diese Geschichte erzählen, aber vor allem dabei die Einführung von GEM als revolutionären Schritt bei 16bit-Computern hervorheben. Die Entwicklung von Multitasking-Fähigkeiten bei diesem Computer soll ein besonderer Schwerpunkt in meinem Beitrag sein. Und ich möchte der Frage nachgehen, warum es auf dem Atari ST mit der Einführung von Multitasking so viele alternative Desktops bei Ataris 16/32-Bit-Reihe gab. Und ich möchte über meine Erfahrungen berichten, was ich alles konfiguriert habe, um einen Rechner der 80er bis weit in das Ende der 90er noch sinnvoll nutzbar zu halten.

Die Entstehung des Atari ST

Nach seiner Trennung von Commodore im Januar 1984 reiste Jack Tramiel mit seiner Frau durch die Welt bevor er sich entschloss doch wieder mit einer eigenen Firma Tramel Technologies anzugreifen (ja der Name der Firma ist richtig geschrieben). Er hatte noch eine Rechnung offen mit seinem Widersacher bei Commodore, dem Investor Irving Gould. Ab April 1984 warb er viele hochkarätige Mitarbeiter von Commodore ab. Dazu gehörten auch Jacks Söhne und vor allem Commodores Leiter der Ingenieursabteilung, Shiraz Shivji und drei der besten Hardware-Ingenieure.

„There was going to be a windowing system, it was going to have bitmapped graphics, we knew roughly speaking what the [screen] resolutions were going to be, and so on. All those parameters were decided before the takeover. The idea was an advanced computer, 16/32-bit, good graphics, good sound, MIDI, the whole thing. A fun computer — but with the latest software technology.“

Shiraz Shivji

Mit seinem Geld kaufte er von Warner Communications den Konsolen- und Homecomputer-Teil von Atari und begann sofort die nützlichen Ressourcen und Mitarbeiter der Firma zu identifizieren. Alles andere wickelte er ab. Er benannte seine Firma am 1. July 1984 in Atari Corporation um. Das Ziel war die Entwicklung eines neuen Computers.

Fast wäre der Amiga ein Atari geworden

Nur zwei Tage vorher zahlte Amiga-Manager David Morse 500000$ plus Zinsen an Atari zurück, um aus einem ungünstigen Vertrag mit Atari auszusteigen und dann von Commodore übernommen werden zu können. Dies war einer der interessantesten technologischen Knowhow-Transfers in den 80er-Jahren.

  • Ehemalige Commodore-Mitarbeiter, die Atari wieder groß machten durch die Entwicklung des Atari ST.
  • Und Amiga-Mitarbeiter, die von Atari finanziell unterstützt wurden ihre Technologie weiterzuentwickeln und dann von Commodore übernommen wurden nachdem die Prozessoren und der Computer kurz vor der Fertigstellung waren.

Commodore und Atari verklagten sich gegenseitig, was zur Folge hatte, dass die Entwicklung des ST erst ab August beginnen konnte und die Fertigstellung des Amiga sehr verzögert wurde.

Wer mehr über dieses Zusammenspiel zwischen Atari, Commodore und Amiga erfahren will, dem empfehle ich den Artikel The 68000 wars. In diesem Artikel erfahren wir auch wie in nur 5 Monaten die Hardware und die Software des Atari ST entstanden ist.

GEM als graphische Benutzeroberfläche

Die Entscheidung für Digital Researchs (DR) Graphics Environment Manager (GEM) als graphische Benutzeroberfläche war eine der wichtigsten Maßnahmen von Atari, um einen modernen 16bit-Computer auf den Markt zu bringen. Kurzzeitig wurde sogar die Lizensierung von Microsofts Windows 1.0 erwogen, dann aber aufgrund DRs niedriger Lizenzforderungen für seine Technologie verworfen. Dass diese Entscheidung allerdings auch viel zusätzlichen Entwicklungsaufwand bedeutete kann man in Landon Dyers Erinnerungen an die Entwicklung des Betriebssystems für den Atari ST nachlesen.

Das Software-Team arbeitete an DRs Firmensitz in Monterrey mehrere Monate daran ein System, was eigentlich für Intel-Prozessoren gebaut wurde auf den Motorola 68000 anzupassen. Und diese Hardware war erst später im Jahr verfügbar.

Die Entscheidung für den 68000er war sowohl für Atari als auch für Motorola ein Glücksfall. Zum einen konnte Atari viel Geld sparen, indem sie Prozessoren von Motorola abnahmen, die nicht den Qualitätsstandards von Motorola und seinen anderen Kunden entsprachen. Zum anderen konnte auch Motorola-Technik bei den MIDI-Ports sehr günstig eingekauft und verbaut werden. Die MIDI-Ports wurden dann ein Alleinstellungsmerkmal, die Atari-Computer für Musiker für die nächsten 10 Jahre interessant machten.

Der Atari ST wird der Öffentlichkeit vorgestellt

Pünktlich zur Winter CES im Januar 1985 konnte Jack Tramiel stolz den Atari ST mit hochauflösenden und flickerfreien Monitor und seiner graphischen Benutzeroberfläche vorstellen. Die Marktbeobachter reagierten begeistert, was unter anderem in diesem Your Computer-Artikel 04/1985 auf den Seiten 54 und 55 nachzulesen war.

Ein Bericht über die Veröffentlichung des Atari ST durch Jack Tramiel. Aus der Your Computer 04/1985
Jack Tramiel und sein Atari ST. Quelle: Your Computer 04/1985 (Link)

Das Gehäusedesign des ST ist von Ira Velinksy, ein ehemaliger Commodore-Industriedesigner, der auch Jack Tramiel gefolgt war.

Bis zur Auslieferung Mitte 1985 musste allerdings noch viel am Betriebssystem angepasst werden. Aus den Erinnerungen von Landon Dyer geht deutlich hervor, dass die ursprünglich von DR vorgeschlagene Betriebssystem-Schicht CP/M 68K nicht den Anforderungen eines modernen Betriebssystems genügte. Auch war Multitasking damit nicht möglich.

Stattdessen wurde mit GEMDOS ein noch unreifes aber vielversprechendes Konzept von DR umgesetzt. Ein Vorteil dieser Entscheidung war auf jeden Fall, dass man damit 3,5“-Disketten im DD-Format (720kB) von einem PC lesen und schreiben konnte. Leider konnten keine Tests mit Festplatten gemacht werden. Erst später stellte man fest, dass die Schreib- und Lese-Operationen des GEMDOS auf Festplatten sehr träge abliefen.

Schließlich wurde das TOS fertig. Entweder stand TOS für The Operating System oder Tramiel Operating System. Anfangs musste es noch auf Diskette ausgeliefert werden. Weil es zu viel Speicher benötigte wurden kurzerhand alle ST-Modelle einheitlich mit 512 kB RAM ausgestattet, auch wenn sie ursprünglich mit 128 oder 256 kB RAM verkauft werden sollten. Später konnte das TOS auf 192kB reduziert werden und damit auf die im Design vorgesehenen ROM-Chips gespielt werden. Im Gegensatz zu PCs, Apples Macintosh und Commodores Amiga war das Betriebssystem beim Einschalten gleich betriebsbereit und musste nicht von Diskette oder Festplatte nachgeladen werden.

Der Atari ST erobert den Markt

Ab Mitte 1985 eroberte der ST den Markt mit seinem Rock Bottom Price (RBP = Codename des Atari ST während der Entwicklung) und rettete damit Atari und sein Management. Das Pokerspiel von Jack Tramiel ging auf. Er und sein Team hatten einen Computer auf den Markt gebracht der Power without the Price ermöglichte. Wirklich erfolgreich wurde er aber nur in Europa, vor allem in Deutschland. In den USA wurde er als Spielecomputer vermarktet und konnte nie gegen Apple und PC erfolgreich bestehen. Wenig später kam mit dem Commodore Amiga 1000 und ab 1987 dem Amiga 500 ein Konkurrent auf den Markt, der viel besser als Spielecomputer geeignet war.

Ein Videobeitrag von Nostalgianerd fasst diese Geschichte und wie es mit ST und Amiga weiterging schön zusammen.

Das GEM

Die Hardware des Atari ST war recht konventionell, aber höchst effizient aufgebaut. Auf dieser Architektur lief eine MacIntosh-Emulation schneller als auf einem Apple-Computer. Was aber besonders hervorstach war die graphische Benutzeroberfläche, das GEM. Schon in seiner ersten Präsentation auf der CES 1985 wurde klar, dass dies die erste farbige graphische Benutzeroberfläche war. Obwohl das hässliche Grün des Desktop-Hintergrunds eher eine geschmacklose Designentscheidung war. Wer dies nachvollziehen will, dem empfehle ich einen Besuch der Webseite Little Green Desktop, die dem Original Desktop des Atari ST nachempfunden ist.

Der Original GEM Desktop. Kein Multitasking. Giftgrün und eher häßlich. Aber faszinierend.
Giftgrüner Desktop in der niedrigen oder mittleren Auflösung

GEM war der Versuch von Digital Research die graphische Benutzeroberfläche des Macs auf die PC-Plattform zu bringen und damit auch Microsoft zu verdrängen. Microsofts Versuch mit Windows 1.0 war wirklich untauglich und GEM sah in vielen Aspekten einfach viel ausgereifter und eleganter aus. Das war auch der Grund, warum Apple dann Digital Research und Microsoft wegen dieser Designs verklagt hat. DR gab schließlich nach und veränderte sein GEM so stark, dass es danach im Markt keine Rolle mehr spielte. Microsoft hatte einen längeren Atem. Trotzdem dauerte es bis Anfang der 90er-Jahre, bis Windows 3.1 eine wirklich gute graphische Benutzeroberfläche wurde. Mit Windows 95 zerstörte Microsoft fast seinen Konkurrenten Apple.

Die GEM-Variante von Atari wurde interessanterweise nicht von Apple verklagt. Offensichtlich war Apple der Meinung, dass Atari mit seinen STs keine Konkurrenz für die MacIntoshs darstellte. Tatsächlich wurde der Atari ST wegen dieser Ähnlichkeit auch als JackIntosh bezeichnet.

Der JackIntosh

Die Oberfläche enthielt alle Elemente, die Apple schon mit seiner Lisa vorgestellt hatte und mit dem MacIntosh verfeinerte. Es gab eine oben plazierte Menüzeile. Die Menüeinträge der jeweils aktiven Applikation oder des Desktops wurden angezeigt. Der ganz links stehende Menüzeilen-Eintrag zeigte die laufenden Accessories an, die eine Art Multitasking von Applikationen erlaubten.

Auf dem Desktop waren die Laufwerke als Icons platziert. Bei einem Klick auf ein solches Laufwerk-Icon öffnete sich ein Fenster. In diesem Fenster lagen die Datei-Objekte, die auf dem Laufwerk gespeichert waren. Ordner innerhalb des Fensters erlaubten eine hierarchische Filestruktur. Programme (*.PRG), TOS- und TTP-Files konnten per Mausklick gestartet werden und liefen neben den Accessories dann exklusiv auf dem ST bis sie vom User beendet wurden.

Auf dem Desktop war dann noch ein Papierkorb-Icon abgelegt, auf das man Datei-Objekte ziehen konnte. Auf diese Art und Weise löscht man auch heute noch Dateien. Die Fenster hatten Steuerelemente mit denen man die Fenster in der Größe verändern, bewegen oder schließen konnte.

Das waren die grundlegenden Funktionalitäten des GEM genannten Desktops, die eine komfortable Bedienung des Rechners mit der Maus erlaubten.

Die Implementierung des GEM auf dem Atari unterlag also nicht den Einschränkungen, die das PC GEM von Digital Research einhalten musste nach dem verlorenen Rechtsstreit mit Apple. Die Geschichte des PC GEM ist spannend und traurig.

Multitasking auf dem Atari ST

Leider war nur ein rudimentäres Multitasking möglich. Über sogenannte Accessories konnte man kleine Applikationen parallel zum Desktop und einer gestarteten Hauptapplikation laufen lassen. Es dauerte noch einige Jahre, bis kooperatives und später auch präemptives Multitasking auf dem ST möglich waren. Atari selbst brachte 1992 MultiTOS auf den Markt, was aber nur auf den neuen 68030-Computern TT und Falcon zuverlässig und schnell lief.

Kooperatives Multitasking

Die erste Multitasking-Erweiterung bekam ich 1991 mit Maxons Multi-GEM-Software. Für damals 159 DM sollte man kooperatives Multitasking nach dem Start erhalten. Kooperatives Multitasking ist die weniger wünschenswerte Multitasking-Variante. Hier wird vorausgesetzt, dass eine laufende App die Kontrolle über die Ressourcen nach einer gewissen Zeit dem Betriebssystem wieder abgibt, sich also kooperativ verhält. Erst danach kann eine andere parallel laufende App auch Rechenzeit bekommen.

Da das TOS ursprünglich nicht für Multitasking vorgesehen war, gehen viele Apps natürlich davon aus, dass sie die Ressourcen exklusiv nutzen können. Das führt leider dazu, dass ein kooperatives Multitasking mit diesen Apps nicht ohne weiteres möglich ist. Trotzdem hat Multi-GEM sieben parallele Prozesse ermöglicht, inklusive Accessories. Das Konzept war interessant und es gab auch einen Konfigurationsdialog, mit dem man die Speicherallokation der gestarteten Apps begrenzen konnte.

Ein weiteres kooperatives Multitasking-Betriebssystem war Geneva von Gribnif-Software, das 1993 auf den Markt kam. Es war vor allem auf dem amerikanischen Markt erfolgreich. Ein alternativer Desktop musste im Gegensatz zu Multi-GEM zusätzlich geladen werden, zum Beispiel NeoDesk. Im nächsten Kapitel werde ich auf alternative Desktops eingehen.

Video zu Geneva und NeoDesk

Präemptives Multitasking

Die Königsklasse beim Multitasking ist natürlich präemptives Multitasking. Eine Fähigkeit, die Macs übrigens erst ab 2000 mit Mac OS X erhalten haben. Nur damit ist Speicherschutz und Zeitscheibensteuerung der einzelnen Prozesse möglich.

Der erste, der dies auf dem Atari ermöglichte war Eric Smith mit MiNT im Jahr 1990. Der Name ist eine Abkürzung für MiNT is Not TOS. Der MiNT-Kernel basierte auf Unix und bot damit eine gewisse UNIX-Kompatibilität. Atari stellt den kanadischen Entwickler ein und MiNT wurde 1992 zum Kernel des neuen Atari MultiTOS.

MultiTOS bestand aus MiNT (MiNT is Now TOS) Kernel, Multitasking AES (User Interface) und Multitasking Desktop. Ein wirksamer Speicherschutz war allerdings nur auf 68030-Systemen (TT, Falcon) mit einer PMMU möglich. MultiTOS lief furchtbar zäh auf alten Systemen. MiNT gibt es auch heute noch als FreeMiNT mit XaAES als AES und dem alternativen Desktop Teradesk als kostenlose Multitasking-Umgebung für Atari-kompatible Computer.

MiNT, XaAES und Teradesk

MultiTOS war sehr langsam und mit N.AES kam 1996 eine Alternative auf den Markt, die voll kompatibel zum MultiTOS ist, aber sehr viel schneller lief. Als alternativer Desktop wurde eine spezielle Version von Thing (N.Thing) mitgeliefert. Vier Jahre später kam N.AES 2.0 auf den Markt.

The ST community did really awesome things; some actual decent multi-tasking operating systems, a ton of music-related software and so on. It’s neat having had a part in helping all of that happen.

Landon Dyer, The Atari ST

MagiC ist der Durchbruch

Besser machte es Mag!X, das im selben Jahr auf den Markt kam. Es war ein Betriebssystem von A. Kromke und S. und W. Behne und wurde über Application Services Heidelberg (ASH) vertrieben. Es bietet das beste präemptive Multitasking auf dem Atari ST und hatte mit MagXDesk bereits einen alternativen Desktop gleich dabei. Mag!X wurde später in MagiC umbenannt und es gab ab Mitte der 90er dann auch eine Version für Macs (MagicMAC) und eine Version für den PC (MagicPC). Dieses Betriebssystem habe ich mit großer Zufriedenheit eingesetzt.

Wer einen Vergleich dieser unterschiedlichen Multitasking-Konzepte sehen möchte, dem kann ich folgendes Video von Christian Rheinnecker empfehlen:

Vergleich Multitasking Geneva (kooperativ), MiNT/XaAES und MagiC (beide präemptiv)

Auf dem Atari ST erforderte Multitasking alternative Desktops

Im Multitasking-Kapitel wurde deutlich, dass mit dem neuen Betriebssystem auch ein alternativer Desktop erforderlich war. Aber natürlich brauchte man dies nicht als Grund, um einen neuen Desktop haben zu wollen. Der Atari Desktop war bis Betriebssystemvariante TOS 2.06 von Atari nicht weiterentwickelt worden. Und die Funktionalitäten waren wirklich sehr einfach. Wer nur ein wenig mehr Features und Komfort haben wollte musste auf einen alternativen Desktop umsteigen. Wer das aber tat, konnte auf folgenden zusätzlichen Komfort in der Bedienung von Applikationen und Dateien zugreifen:

  • Definition von beliebigen Icons für jeden Dateityp,
  • Ablage von Programmen, Daten und Ordnern auf den Desktop,
  • Bedienung des Desktops auch mit der Tastatur,
  • Erweiterte Konfigurationsmöglichkeiten
  • Verwendung anderer Schriften und auch proportionaler Schriften wie Truetype
  • Nutzung und Konfiguration der Funktionstasten
  • und vieles mehr.

Was waren die dominierenden alternativen Desktops?

Gerade das viele mehr unterscheidet die alternativen Desktops untereinander. Und auf dem Atari ST Markt gab es viele Anbieter von alternativen Desktops. Die bekanntesten sind

  • Gemini,
  • Ease,
  • Thing,
  • NeoDesk,
  • Jinnie,
  • TeraDesk
  • MagXDesk.

Gemini

Ein Screenshot von meinem Atari ST mit Gemini und MagiC
Gemini Desktop mit mehreren Apps unter MagiC (ich entschuldige mich für dieses schlechte Bild)

Der alternative Desktop Gemini von Gereon Steffens und Stefan Eissing erschien bereits 1989. Bestandteil ist die berühmte Mupfel, die eine im Fenster laufende Unix-kompatible Shell ist. Der alternative Desktop hat eine Vielzahl an großen und kleinen Icons für unterschiedlichste Objekte auf dem Desktop. Die kleinen Icons in der Listenansicht sehen elegant aus. Der ganze Desktop ist elegant und schön.

Die Dialoge sind fliegende Dialoge. Beim Verschieben des Dialogfensters verschiebt sich der Dialog also komplett und nicht nur der Rahmen. Der Desktop unterstützt symbolische Links. Mit Gemini wurde das AV Protokoll eingeführt, was in der Folge auch von vielen anderen Desktops unterstützt wurde. Alternative Schriften und sogar proportionale Schriften werden unterstützt. Die letzte offizielle Version ist V1.a und arbeitet perfekt mit MagiC zusammen. Im nächsten Kapitel zeige ich im Detail diesen großartigen alternativen Desktop, der auch mein Favorit war.

Quellen:

Ease

Ein Screenshot von EASE, einem anderen alternativen Desktop für den Atari ST. Benötigte auch Multitasking
Ease Desktop

Dieser alternative Desktop hat ein paar zusätzliche Fensterelemente zu bieten, die das Fenstermanagement auf dem Desktop erleichtern. Tastaturbedienung ist auch eingebaut. Scrollen mit der rechten Maustaste erlaubt proportionale Bewegung des Fensterinhalts. Damit erkennt man immer genau, wohin man gescrollt hat und welche Dateien in diesem Bereich des Fensters abgelegt sind. Ease arbeitet mit GDOS-Fonts. Eine mehrspaltige Anzeige der Dateien im Textmodus ist möglich.

Fenster können sich automatisch auf die Größe der enthaltenen Dateiobjekte angepasst öffnen. Ein Icon-Editor ist auch vorhanden. Dateifenster können als Icon auf dem Desktop verkleinert abgelegt werden. Damit kann man schnell Platz schaffen. Notizen können auf dem Desktop abgelegt werden. Der schnelle Dateikopierer Kobold kann für Dateioperationen eingebunden werden. Der Preis war damals 89 DM und wurde von Application Service Heidelberg (ASH) vertrieben und wurde in Version 5 mit MagiC angeboten.

Quellen:

Thing

Ein Screenshot vom alternativen Desktop Thing. Auch hier wurde Multitasking auf dem Atari erwartet.
Thing Desktop

Diese Lösung wurde 1994 von Arno Welzel und Thomas Binder veröffentlicht. Die Belegung der Funktionstasten kann mit den Tasten Shift, Control und Alternativ beliebig konfiguriert werden. Der Menüeintrag Tools kann beliebig mit Dateien konfiguriert werden. Ähnlich wie MagXDesk können unter MagiC auch Accessories geladen und entladen werden.

Der alternative Desktop ist modular aufgebaut und es können Standardapplikationen zur Dateibetrachtung, Druck, Suche, Diskettenformatierung und für weitere Standardfunktionalitäten zugeordnet werden. Er unterstützt das AV-Serverprotokoll, das von Gemini eingeführt wurde. ST-Guide wird je nach Kontext für Hilfetexte aufgerufen, wenn man die HELP-Taste nutzt.

Modale Dialoge sind eine feine Sache. Sie können offen bleiben und blockieren nicht weitere Aktivitäten, wie das nichtmodale Dialoge, z.B. bei Gemini tun. Auch wie bei Ease erlaubt die Benutzung der rechten Maustaste ein proportionales Real-Time Scrolling in Fenstern. Es werden bis zu 32 Zeichen lange Dateinamen unterstützt. Auch hier kann der Kobold für schnelle Dateioperationen eingebunden werden. Proportionale Schriften können genauso wie bei Gemini verwendet werden. Thing verbraucht aufgrund seiner Funktionsfülle viel Speicherplatz, gerade wenn man die Farb-Icons verwendet. Er wurde als angepasste Version N.Thing als Desktop für N.AES angeboten.

Quellen:

NeoDesk

Ein Screenshot von Neodesk. Dieser lief auch unter kooperativen Multitasking von Geneva. Hier aber mit MagiC
NeoDesk Desktop

Dieser alternative Desktop kommt aus den Vereinigten Staaten. Jedes Fenster hat seine eigene Menüleiste. Die Autoren scheinen von Windows 3 inspiriert worden zu sein. Man kann das Fenster splitten und damit in unterschiedlichen Bereichen der Dateien gleichzeitig arbeiten, ohne zwei separate Fenster dafür öffnen zu müssen. Auch NeoDesk hat einen eigenen Icon-Editor. Eine RAM-Disk wird angeboten, die mit den dort abgelegten Dateien mitwächst. Notizen können auf dem Desktop erstellt und abgelegt werden. Fileoperationen laufen im Hintergrund. NeoDesk harmonisiert mit Geneva bestens, da es vom selben Hersteller Gribnif Software ist. Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß Geneva nur kooperatives Multitasking bietet. Es kostete 69,95$.

Quellen:

Jinnie

Auf dem Atari ST kamen mit dem Multitasking viele alternative Desktops. Hier ein Screenshot von Jinnee
Jinnie Desktop

Diese Software ist der jüngste der hier gezeigten Desktops und wird von ASH vertrieben. Er ist speziell an MagiC angepasst und läuft natürlich auch auf MagicMac und MagicPC. Eine hierarchische Ordnerdarstellung gehört zu den feinen Funktionalitäten im Fenster. Springfolder erlauben das Springen in die tieferen Hierarchieebenen, wenn man ein Objekt auf einen Ordner zieht und solange festhält, bis die richtige Ebene erreicht wurde. Auch der ST-Guide kann für kontextsensitive Hilfetexte verwendet werden. Mit ca. 300 KB ist Jinnie sogar schlanker als Ease. Jinnie war 1999 zum Quasi-Standard unter den Desktops für den Ataris geworden. Ab Version 2 gab es kontextsensitive Menüs, die über die rechte Maustaste aufgerufen wurden. Icons können auch komfortabel editiert werden. Auf MagicMac kann man tatsächlich aus Jinnie heraus Mac-Programme starten.

Quellen:

TeraDesk

Eine kostenlose Alternative als alternativer Desktop. Ein Screenshot von Teradesk
TeraDesk Desktop

Ein einfacher und kostenloser Desktop ist TeraDesk. Er verbraucht auch nicht viel Speicher. Drag und Drop unter dem ARGV-Protokoll ist implementiert. Ein Doppelklick wurde auf die rechte Maustaste gelegt. Eigene Vektorfonts können eingesetzt werden. Im Jahr 2002 wurde TeraDesk der erste Open-Source-Desktop für den Atari. TeraDesk wird deshalb gerne mit FreeMiNT und XaAES gebundelt.

Quellen:

MagXDesk

Mit dem Multitasking OS Magic kam als alternativer Desktop MagXDesk auf den Atari ST
MagXDesk

Der MagXDesk wird mit MagiC mitgeliefert und ist bezüglich des Speicherverbrauchs eine der besten Möglichkeiten. Deshalb ist er bestens integriert mit MagiC und hat ein paar Besonderheiten. Wenn es erforderlich ist Applikationen im Single Task Modus fahren zu müssen, dann kann auch der MagXDesk von MagiC deinstalliert werden und damit Speicher wieder freigeben werden. Das geht mit keinem anderen Desktop. Wie man auf diesem Bild sieht kann man auch hier die komplette Palette von modernen Desktop-Funktionalitäten nutzen. Es können lange Dateinamen inklusive Leerzeichen bis 64 Zeichen verwendet werden. Accessoires können einfach geladen und entladen werden unter MagiC. Genauso wie Gemini kann MagXDesk auch symbolische Links verwenden.

Quellen:

Mein „perfekter“ Gemini-Desktop

Ich habe mich sofort in Gemini verliebt. Vor allem der Eye Candy mit geschmackvollen Schriften und Icons hat mir sehr gefallen. Die Shell Mupfel, die fast eine vollständige Unix-Kommandozeile ermöglichte habe ich gerne zu Lernzwecken von Unix-Commands in einer Shell genutzt. Die man-Pages fand ich großartig.

All diejenigen, die in den vorherigen Kapiteln die giftgrüne GEM-Oberfläche der niedrigen und mittleren Bildschirmauflösung gesehen haben, kann ich beruhigen. Ich habe immer nur mit der hohen Auflösung auf dem SM124-Monitor gearbeitet. Dort hatte man nur ein monochromes Bild, das aber gestochen scharf ohne Flackern in 640 mal 400 Pixeln angezeigt wurde. Das war für mehr als 10 Jahre meine Arbeitsoberfläche.

Mein Traum war damals der 19“-Monitor SM194 von Atari, der nur in Verbindung mit einer Grafikkarte (z.B. Matrix M110 oder Viking) an meinen Mega ST hätte angeschlossen werden. Leider fehlte mir das Geld dafür.

Alles konfigurieren was möglich war

Deshalb habe ich mich all die Jahre damit beschäftigt die User Experience an meinem Rechner so gut wie möglich zu gestalten. Nachdem der Rechner hochgebootet war verblieb nur noch 1,8MB (von 4MB) zur Arbeit übrig.

Boot-Up Prozedur mit MagiC und Gemini

Als Betriebssystem hatte ich Mag!X/MagiC, welches fast problemloses präemptives Multitasking erlaubte. Gemini in der V1.a war die aktuellste Version. Zusätzlich wurden beim Booten alle möglichen Features gestartet: Patches, die Fehler des TOS 1.04 behoben, den Softwarebeschleuniger NVDI, die Dateiauswahlbox Freedom, den an Windows 95 angelehnten Start-Button, Multistrip, der alle geöffneten Apps und Fenster neben dem Start-Button anzeigte und vieles, vieles mehr.

Ich weiß einfach nicht mehr, was alles beim Booten automatisch gestartet wurde. Ich denke hier hilft einfach ein weiteres Video weiter, was ich vom Betriebssystem gemacht habe. Wenn ihr euch wundert, dass die Aktionen so schön flüssig aussehen, dann sage ich euch, dass dieser Rechner auf 25MHz getaktet ist und damit knapp 300% der Leistung eines normalen Atari ST hat. Darüberhinaus beschleunigt NVDI die Bildschirmdarstellung massiv. Und der Blitter des Mega ST mag auch ein wenig helfen.

Betriebssystem MagiC und Desktop Gemini

Gemini war komfortabel und elegant

Die Arbeit war damit in einer sehr komfortablen Art und Weise möglich. So sehr, dass der Blick zu anderen Plattformen für mich größtenteils uninteressant war. Natürlich hätte ich gerne mehr RAM und größere und schnellere Festplatten gehabt. Auch höhere Auflösung und farbige Oberflächen wären schön gewesen, aber nicht wirklich notwendig. Zum Glück gab es damals mit dem MausNet ein BBS, was einem den Zugang zur Atari-Community und -Szene eröffnete. Gerade in Deutschland waren damals die Köpfe und Software-Schmieden, die die Atari-Plattform immer weiter trieben, im Mausnet vertreten. In Kombination mit einem Modem, der Connect-Software und der Maustausch-Software Cat war man immer bestens informiert.

Aus dieser deutschen Atari-Community kamen dann auch die alternativen Desktops Ease, Thing und Jinnie hervor. Ich habe alle ausprobiert, aber ich war so zufrieden mit Gemini, dass ich den Wechsel auf einen der anderen Desktops nie ernsthaft vollzogen habe. Aber mit den auf der Atari-Plattform typischen Boot Managern hatte ich auch für Thing und Jinnie Boot-Konfigurationen eingerichtet und getestet.

Das folgende Video zeigt die typische Anwendung des Gemini-Desktops mit meinen Applikationen und meinen Daten.

Präemptives Multitasking unter MagiC und Gemini

Fazit

Wer mal Lust hat sich mehr mit der Atari ST-Platform zu beschäftigen, kann mit Emulatoren wie Hatari oder EmuTOS beginnen. Aber schnell braucht man ein wenig Software, um ein wenig mehr zu testen. Auf der Atari-Seite von Christian Rheinnecker (Stand 2022: Seite ist nicht mehr vorhanden) findet man Links auf Software, die man downloaden kann.

Alle anderen, die bisher nichts oder nur wenig vom Atari ST gehört haben, konnten mit dem Beitrag und allen verlinkten Quellen einen tiefgreifenden Einblick in diesen guten Computer und sein Ökosystem erhalten.

Dieser Computer ist speziell von deutschen Usern, Firmen und Entwicklern als ernsthafte Computerplattform akzeptiert worden. Es war toll für mich auf den Messen in Deutschland die wichtigsten Anbieter von Lösungen zu treffen und mich mit ihnen austauschen zu können. Und die direkte Kommunikation mit Gleichgesinnten im MausNet hat einem auch immer wieder geholfen. Vielen Dank an alle, die damals Teil dieser Community waren.

2 comments

  1. Großartiger Beitrag! Herzlichen Dank dafür. Auch und insbesondere für die zahlreichen Quellenangaben.
    Der Atari war für mich der Einstieg in die Computer Welt. Ich war gerade frisch examinierter Berufsmusiker und hatte 1988 mit PC‘s nichts am Hut. Und dann kommt ein System auf den Markt, mit dem man Musikstücke auf einem midi-fähigen Keyboard (ich nutzte damals den Klassiker Yamaha DX7 und später den Korg M1) einspielen, bearbeiten und sogar Noten davon ausdrucken kann. Das glich einem Wunder, war aber nicht schwer. So bestand mein erstes Equipment aus einem Atari 1040ST (1.000 DM) , der Homerecording Software Notator/Creator von C-Lab (900 DM) und einem NEC P6 24-Nadeldrucker. Das reichte für mein erstes Glück und öffnete mir die Tür zum Computerverständnis bis zum heutigen Tag. Verständnis bedeutete für mich aber nicht, alles zu wissen, sondern die Sachen so zu nutzen, wie ich es mir vorstelle.
    Ich habe dann irgendwann einen gebrauchten Atari MegaST4 erworben, zu anfangs mit einer Atari Festplatte (30 MB) kombiniert und mir dann eine Protar Festplatte mit – ich glaube – 80 MB spendiert. Auch gebraucht. Es gab auch damals bereits schöne Office Software (Signum als Schreibprogram und Calamus als Text-Design-Program für desktop publishing – DTP), für mich damals gefühlte Lichtjahre weiter entwickelte Programme als die für einen 286er IBM PC, den ich damals einfach nur albern fand. Wir nannten die 286er, die unter IBM-DOS liefen stets die „Dosen“. Klobig, scheppernd und nervig. Der Clou an meinem Atari war eine DOS-Emulation, die einem aufzeigte, wie schlecht es damals um die Konkurrenz bestellt war. Mein erstes „Word“ nutzte ich mit ebendieser Emulation. Es fühlte sich grottig an, zumalndie ersten Versionen nicht wysiwyg waren (what you see, is what you get).
    Musik habe ich am Atari bis etwa 2015 gemacht. Ohne großartige Änderungen. C-Lab hatte im Übrigen Notator/Creator vermeintlich weiterentwickelt in Pro-Logic, erreichte aber (für mich gefühlt) nie wieder das Niveau seiner ersten Versionen.
    Die Ausführungen zur Geschichte des Atari hat mir nochmal eine warme Erinnerung an Aufbruchstimmung, fröhlicher Innovation und kreative Zeiten gebracht. Wahnsinn, dass das alles noch gar nicht soo lange zurückliegt.
    Heute ist vieles anders. Deutlich schnell lebiger und unfassbar stark kommerzialisiert. Wie auch immer: Schön, dass ich die Zeit mit dem Atari erleben durfte.

    1. Ja, der Atari war für seine Zeit ein wirklich gut nutzbares Gerät. Schade nur, dass bei 4MB ST RAM Schluss war. In den 90ern hätte ich da gerne aufrüsten wollen. Ging aber nicht. Da wäre der TT Pflicht gewesen. Aber da waren die PCs doch überlegen.

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