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GEOS – eine grafische Benutzeroberfläche für den C64

Lesedauer: 10 Minuten Wer nur mit dem C64 gespielt hat, wird nicht gewusst haben, daß es mit GEOS eine grafische Benutzeroberfläche für den C64 gab.

38911 BASIC BYTES FREE – so meldete sich der berühmteste Homecomputer aller Zeiten, wenn man ihn anschaltete. Ein blauer Bildschirm begrüßte den User unmittelbar nach dem Anschluß an das Netz und man war sofort in der Kommandozeile. Das war die Realität für Hunderttausende Kids in den Kinderzimmern überall auf der Welt. Der C64 wartete auf die Eingaben über die Tastatur. Es ging aber auch anders. Mit GEOS bekam man ab 1986 eine grafische Benutzeroberfläche für den C64.

Startscreen vom C64 mit seinen 38911 Basic Bytes free
Startbildschirm des C64 (Quelle: gamestar.de)

Man blieb nie lange in dieser Eingabeaufforderung, die für die BASIC-Programmierung genutzt wurde. Meistens war der erste Befehl, den der C64-User dann eingab

LOAD "$",8,1

Damit wurde dann das Directory des angeschlossenen Diskettenlaufwerks geladen und in der Folge wählte man dann ein Programm von dieser Diskette aus. Und schon war der blaue Screen bis zum nächsten Neustart verschwunden.

So sah die Wirklichkeit mit dem Commodore 64 aus. Und dann kam GEOS und brachte eine grafische Benutzeroberfläche für den 8 Bit Computer mit seinem 38911 Bytes free RAM.

Grafische Benutzeroberflächen

Grafische Benutzeroberflächen waren das Next Big Thing Anfang der 80er-Jahre. Anbieter wie Apple mit seinem MacIntosh, Atari mit seinem ST und Commodore mit seinem Amiga kamen 1984 und 1985 mit den ersten grafischen Benutzeroberflächen, oder Graphic User Interface (GUI) genannt, auf den Markt. Apple war mit seiner LISA sogar schon früher mit einer beeindruckenden GUI präsent. Abgeschaut hatte man sich das Konzept bei Xerox in den PARC (Palo Alto Research Center) Labs. Die Wissenschaftler von Xerox erdachten damals die Konzepte der Zukunft und gossen diese Konzepte auch in Produkte.

Der Xerox Alto

Und dort fand eines der wichtigsten Ereignisse unserer Computergeschichte ihren Anfang. Manager von Xerox PARC führten Steve Jobs und seinem kleinen Apple-Team die GUI auf einem Xerox Alto vor. Dies war die Geburtsstunde der Kommerzialisierung von Computern mit grafischen Benutzeroberflächen, so wie wir sie heute überall auf unseren Schreibtischen oder in der Hand haben.

Bis zu diesem Zeitpunkt war eine textbasierte Oberfläche mit Kommandozeile der Status Quo. Viele „professionelle“ Nutzer belächelten die grafische Oberfläche mitleidig. Was natürlich auch verständlich war, da jedes neue System erst über die Jahre reifen muss. Viele heute als selbstverständlich angenommene Bedienkonzepte sind erst in den Jahren darauf entwickelt worden und in die damaligen Oberflächen integriert worden. Auch waren die Hardwareanforderungen viel höher und damit waren diese Geräte sehr teuer und mussten sich am Markt erstmal beweisen und etablieren.

Alle von mir oben genannten Computer besaßen eine 16bit CPU und benötigten mindestens 128 KB RAM. Es stellte sich aber bei der Vorstellung des MacIntoshs heraus, dass erst ab 512 KB RAM das System einigermaßen rund lief. Auch Atari wollte mit dem Atari 260 ST einen Computer mit 256 KB RAM rausbringen und stellte fest, dass alleine das TOS mit seiner GUI GEM annähernd so viel Speicher benötigte. Man baute also auch da 512 KB RAM ein.

Auftritt Berkeley Softworks

Die kleine Softwareschmiede Berkeley Softworks versuchte das Unmögliche. Sie wollten eine grafische Benutzeroberfläche und Steuerung per Maus/Joystick für den Commodore 64 anbieten. Dass der C64 mit einem auf 1 MHz getakteten MOS 6502 Prozessor und seinen 64K RAM, von denen 38911 Bytes beim Start nur frei sind, von der Hardware nicht ausreichend dimensioniert ist, hat Berkeley Softworks nicht weiter gestört. Im Jahr 1985 stellten sie die ersten Beta-Versionen zur Verfügung und lieferten 1986 dann die erste halbwegs stabile Version 1.2 ihres Graphic Environment Operating System (GEOS) aus. Zur Steuerung konnte eine GEOS-Maus über den Joystickport genutzt werden. Natürlich konnten auch handelsübliche Joysticks verwendet werden.

Ab Version 1.3 gab es auch ein eingedeutschtes GEOS. Nachdem das Bootprogramm GEOS OS von der Diskette geladen wurde ist auch die Oberfläche DESK TOP am Bildschirm erschienen, die schon eine erstaunliche Ähnlichkeit zu den Marktführern von Apple und Atari hatte. Auf der Boot-Diskette waren auch die GEOS-Schriftarten, GEOS-Treiber und GEOS-Applikationen enthalten.

Die Oberfläche von GEOS. Das sah alles schon gut aus. Und das bei nur 38911 freien Bytes im C64
Das GEOS-System (Quelle: commodore.ca)

GEOS Applikationen

Die Applikationen GEOWrite und GEOPaint konnten jeweils nur einzeln geladen werden. Wenn man etwas kopierte und in die Zwischenablage speichern wollte, dann wurden die Inhalte erstmal auf die Arbeitsdiskette gespeichert. Danach musste man das aktuelle Programm beenden, das neue Programm starten und dann die Zwischenablagedatei von der Arbeitsdiskette einladen. So funktionierte damals das heute allgegenwärtige Copy & Paste.

Im Jahr 1988 stellte Berkeley Software dann die Version 2.0 von GEOS als Benutzeroberfläche für den C64 vor. Es unterstützte dann tatsächlich zwei Diskettenlaufwerke. Glücklich war derjenige, der wirklich zwei Diskettenlaufwerke besaß. Am oben beschriebenen Beispiel konnte man erkennen, wie häufig man ansonsten die Diskette wechseln musste. Commodore bot zu diesem Zeitpunkt auch eine RAM-Erweiterung für 128KB, 256KB und bis zu 512KB an. Dieser zusätzliche Speicher konnte dann in GEOS als RAMDISK angesprochen werden. Berkeley Software lieferte auch weitere Programme und Funktionalitäten: GeoMerge, GeoSpell, DiskTurbo, Notizblock, Rechner, TextGrabber, Wecker, Voreinstellungsprogramm, Foto- und Textmanager, PrinterCreator, SelectPrinter, Druckertreiber Mega-Treiber, geoLaser, PaintDrivers.

Für mehr Details zu GEOS verweise ich auf das C64-Wiki.

Meine eigenen Erfahrungen?

Ich habe ja schon in früheren Beiträgen geschrieben, dass ich als Sinclair-User wenig mit Commodore-Computern zu tun hatte. Aber das ist natürlich nicht ganz richtig. Aufgrund seiner Verbreitung in Deutschland hatte ich viele Kontakte mit dem C64. Unsere Schule hatte ein Computerlabor, in dem ich das Programmieren mit Simons Basic lernte. Ich lernte zum Beispiel die Sprite-Programmierung. Einer meiner besten Freunde aus Schulzeiten hatte einen maximal ausgestatteten C64, den er an meinen Bruder verkaufte, bevor er auf den Amiga umstieg. Auf diesem C64 habe ich viel mit meinem Bruder gespielt. Auch einen ersten Blick auf GEOS erhielt ich damals (1988) und war schon recht angetan, dass dies auch auf dem C64 nutzbar war.

Damals bin ich allerdings schon auf den Sinclair QL umgestiegen und fühlte mich mit dem 16 Bit Computer und seinen 128KB RAM dem C64 überlegen. Aber die perfekte Spielmaschine blieb trotzdem der C64. Und mit dem Atari ST bin ich danach endgültig in einer anderen Liga angekommen.

Um dann doch einen C64 in meiner Sammlung zu haben, habe ich den C64 mini aus dem Jahr 2018 gekauft. Richtig süß 😀

Re-enactment eines GEOS-Users

Warum schreibe ich also über GEOS 2.0? Und was hat das mit Re-enactment zu tun?

Laut Wikipedia bedeutet Re-enactment Nachstellung von historischen Situationen. Am ehesten findet man das beim Nachstellen von berühmten Schlachten der Weltgeschichte, z.B. des amerikanischen Bürgerkrieges. Dabei stecken dann die Darsteller in historisch korrekten Uniformen, haben historisch korrekte Waffen und spielen das Leben und Sterben dieser Soldaten in einer historisch korrekten Umgebung nach.

Ein Kollege von mir hat das Re-enactment Gen in sich. Seine nostalgische Verklärung alter Zeiten gepaart mit einer Detailverliebtheit hat mir erlaubt diesen faszinierenden Bericht wiederzugeben. Er hat ein komplettes C64-System mit Dokumentation und Software gekauft, weil er seine nostalgischen Erinnerungen an eine prägende Zeit seiner Jugend wiederbeleben wollte. Mein Ehrgeiz geht eher in die Richtung diese Geräte besitzen zu wollen. Er hingegen steckt viel Zeit und Leidenschaft in die Benutzung dieser historischen Computerkomponenten.

Und so hat er sich der Aufgabe gestellt einen Brief mit GEOWrite zu erstellen und auszudrucken. Mit den heutigen Systemen kein großer Aufwand. Mit der grafischen Oberfläche GEOS auf dem C64 ein Abenteuer. Aber: auch so kommt man ans Ziel 😀 – ist halt alles ein bisschen aufwändiger.

Das C64-System und GEOS

Sein System besteht aus einem C64C, dem Nachfolger des Brotkastens C64, der Commodore Maus 1351, dem Original-Monitor 1702 von Commodore, der Floppy 1541C, der Floppy 1541-II, dem Matrixdrucker MPS 803 und natürlich viel Literatur.

Um das System komfortabel starten und nutzen zu können, ist auch das 1987 auf den Markt gekommene Steckmodul Final Cartridge III dabei. Es stellt dem C64-Nutzer über 60 neue Funktionen (u.a. BASIC-Erweiterung, Schnelllader und -speicherer für die 1541 mit dem Faktor 10, Freezer, Monitor) zur Verfügung, darunter u.a. eine Benutzeroberfläche (Desktop) mit Fenstertechnik, hardwareseitig eine Reset- und eine Freezer-Funktion.

Der Desktop erscheint auf dem C64

Nach dem Einschalten zeigt sich nicht der übliche blaue BASIC-Bildschirm, sondern die „Desktop“ genannte Oberfläche des Moduls „The Final Cartridge III“. Dieser Desktop ermöglicht eine Bedienung mit der Maus, die Befehle werden menübasiert ausgewählt. Hier als Beispiel das Anzeigen des Directory der Diskette und Anwahl von GEOS als zu startendes Programm.

Unmittelbar darauf beginnt der C-64, GEOS von der Diskette zu laden. Wohlgemerkt, ohne einen Befehl mittels Tastatur eingegeben zu haben, alles mit der Maus über Menübefehle!

Das Booten dauert eine kleine Weile. Nach dem Laden erscheint der Startbildschirm von GEOS mit der auch hier “Desktop” genannten Standard-Darstellung. Kernfunktionen (“Apps” würde man wohl heute sagen) befinden sich in der Mitte auf dem weißen Untergrund. Es können nur acht Piktogramme auf einer Seite dargestellt werden. Blättert man am Eselsohr unten links um, gelangt man auf weitere Seiten.

Durchführung von Dateioperationen

Diese beinhalten aber nur Hilfsprogramme, die in der Regel nicht direkt gestartet werden, sondern Drucker-/Maustreiber etc. beinhalten. Am rechten Rand finden sich Disketten-Symbole. Diese repräsentieren die beiden angeschlossenen Floppy-Laufwerke. Zwei Floppies erleichtern die Arbeit mit GEOS ungemein, man erspart sich so das ständige Wechseln der Disketten. Die Boot-Diskette (Laufwerk A) wird nur zum Starten von GEOS benötigt, für alle weiteren Anwendungen, die von dort dann gestartet werden können, muss jeweils eine eigene Arbeitsdiskette erstellt werden (und wenn die voll ist, dann eben noch weitere). Diese befindet sich in Laufwerk B.

Der GEOS Desktop liefert dem Nutzer folgende Informationen, die auf dem nächsten Bild zu sehen sind. Alle Elemente, die wir von modernen GUIs kennen sind auch hier enthalten. Das Look & Feel ist sehr an Mac OS und GEM orientiert. Es gibt am oberen Bildschirmrand eine Menüzeile, Datums- und Uhrzeitanzeige. Die angeschlossenen Laufwerke sind auf dem Desktop sichtbar. Ein Papierkorb und auch der Drucker sind als Elemente für die Mausbenutzung verfügbar.

GEOS V2.0 von 1988 wurde von meinem Kollegen Jörg getestet.
GEOS in all seiner Schönheit 😀

Re-Enactment am Beispiel eines Briefes

Für die Aufgabenstellung ist eine Arbeitsdiskette für GEOWrite erstellt worden. Weitere Arbeitsdiketten sind für die weiteren Anwendungen, wie GEOPaint, angelegt. Um nun einen Brief zu schreiben startet man GEOWrite von der Arbeitsdiskette. Danach öffnet man eines der vorbereiteten Dokumente von derselben Diskette.

Da ist es auch schon, das vorbereitete Dokument! Die Wartezeit war nicht sonderlich lange, vielleicht 15-20 Sekunden. Mein Kollege hat seine Eindrücke von der Textverarbeitung mit GEOWrite in diesem Dokument geschildert, hauptsächlich um einen Text zum Testen der Funktionen und zum Ausdrucken zu haben. Für den Matrixdrucker MPS 803 sind Druckertreiber vorhanden und deshalb wird der mit GEOWrite geschriebene Text sauber ausgedruckt. So sauber wie ein Matrixdrucker das in den 80er-Jahren konnte. Mit dem Schrifbild moderner Tintenstrahldrucker- oder Laserdrucker hat das natürlich nichts zu tun. Aber What You See Is What You Get (WYSIWIG) ist das schon. Und das mit einem 8bit-Computer mit 38911 Bytes free RAM 😉

Fazit

Seit dem Augenblick, wo Steve Jobs und sein Team die grafische Benutzeroberfläche bei XEROX PARC gesehen haben, war klar, dass Textinterfaces wie DOS und das Unix-Terminal nicht der richtige Einstieg für Consumer sind.

Ab diesem Zeitpunkt entstanden GUIs auf allen Systemen. Aber die Idee ein fast vollwertiges grafisches System auf dem C64 zu nutzen ist schon abenteuerlich gewesen. Die oben dokumentierten Erfahrungen zeigen, dass es geht und mit zwei Floppy-Laufwerken sogar einigermaßen komfortabel.

Aber um ehrlich zu sein: erst mit den neuen 16bit-Computersystemen wie Apple MacIntosh, Atari ST und Commodore Amiga war dieses Konzept dann wirklich gut nutzbar. Dort waren Hardware und Software bereit von Anfang an auf die grafische Benutzeroberfläche ausgerichtet. GEOS 2.0 war aber ein sehr guter Versuch dieses Look and Feel auch Millionen C64-Usern zu vermitteln.

Ich danke meinem Kollegen Jörg für seinen Beitrag und die Screenshots, die er bei seinem GEOS 2.0 Re-enactment gemacht hat. Das war für mich ein großartiger Einblick zurück in die 80er-Jahre. Diese Zeit ist wieder nostalgisch zurückgebracht worden. Einerseits ist es schön zu wissen, wieviel komfortabler wir es heute haben. Andererseits ist es auch wieder überraschend zu sehen, wieviel Grundlagen damals schon vorhanden waren, die auch heute noch gültig sind in modernen GUIs.

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