80er Apple Desktops Jubiläum Klassische Computer

Apple Lisa – vor 40 Jahren sahen wir die erste GUI von Apple

Lesedauer: 27 Minuten Die Apple Lisa wurde überstrahlt vom Macintosh. Die Lisa war aber die wirkliche Revolution. Meine Würdigung für das kreative Team dahinter

Am 19.1.1983 kam die Apple Lisa auf den Markt. Der erste bezahlbare Computer mit einer graphischen Benutzeroberfläche, wie wir sie auch heute noch kennen. Obwohl der damalige Preiszettel von 9995$ den Begriff bezahlbar in Frage stellt. Tatsächlich war der angestrebte Kunde nicht the rest of us, wie Steve Jobs die Kunden seines Macintoshs bezeichnete. Es sollten Office Worker oder Knowledge Worker sein. Lisa sollte sie in die Lage versetzen, ihre Arbeit mit Computerunterstützung zu leisten ohne wirkliche Computerkenntnisse haben zu müssen.

Das war 1978 eine Herausforderung, da zu diesem Zeitpunkt eher Mainframes von IBM oder DEC, oder Minicomputer wie TI-990 und HP 3000 auf dem Markt erfolgreich waren. Dann gab es natürlich noch kleine Firmen wie Apple mit seinem Apple II, Tandy Radio Shack mit seinem TRS 80 und Commodore mit seiner CBM-Serie und dem PET. All diese Computer erschlossen sich dem einfachen Office Worker nicht sofort. Man benötigte Schulungen und das Studium von Handbüchern, um einen solchen Computer bedienen zu können.

Die Lisa, der vergessene Computer?

Die Lisa im Heinz Nixdorf Forum (HNF) in Paderborn
Die Lisa im Heinz Nixdorf Forum (HNF) in Paderborn

Als ich diesen Beitrag kurz vor dem 40. Jahrestag begann dachte ich, dass es nur wenig Quellen und Berichte zu diesem Computer geben würde. Immerhin hat Steve Jobs immer wieder nur seinen Macintosh und die besondere Bedeutung dieses Computers für uns alle hervorgehoben. Die Lisa war immer nur als der gescheiterte viel zu teure erste Versuch im kollektiven Gedächtnis verblieben. Ich war überrascht, wie viele großartige Quellen ich doch finden konnte. Teilweise waren diese widersprüchlich. Deshalb möchte ich zuerst eine Übersicht über die wichtigsten Quellen für diesen Beitrag geben und wie ich die Inhalte bewerte.

Berücksichtigter Bericht für diesen BeitragBewertung des Inhalts
Lisa von The Digital AntiquarianMeiner Meinung nach der beste und vollständigste Bericht über die Entstehung der Lisa und die handelnden Personen. Ein absolutes Muss zum Verständnis der Lisa und ihrer Errungenschaften.
Happy birthday, Lisa: Apple’s slow but heavy workhorse turns 30 von The RegisterFünfteiliger Bericht zum 30. Jahrestag über die Lisa, den Besuch bei Xerox, das Lisa Projekt und seine Mitarbeiter, die Entstehung des Desktop Managers und des integrierten Softwarepaketes, sowie eine kritische Würdigung der Lisa und ihres Schicksals.
Tochter von Steve Jobs: Wie Lisa Brennan-Jobs sich befreit vom TagesspiegelInterview des Tagesspiegel mit Lisa Brennan-Jobs vom 17.11.2018 über ihr neues Buch Beifang (Small Fry im englischen Original). Ein Celebrity Buch über ihr Leben mit ihrem Vater Steve Jobs, das von dessen Frau Laurene Powell-Jobs inhaltlich kritisiert wurde.
My Life at Apple: And the Steve I Knew von John CouchDas Buch des Verantwortlichen für das Lisa-Projekt: John Couch. Intime Einblicke in das Lisa-Projekt und die Zusammenarbeit mit Steve Jobs. Ich habe dieses Buch in der portugiesisch-sprachigen Version gekauft, da ich diese Sprache lernen will (und es günstiger als die englisch-sprachige Version war 😉).
History of Apple’s Lisa von LowEndMacErwähnung der Projektanfänge mit dem Projektleiter Ken Rothmuller von HP. Auch die initiale Projektspezifikation inklusive anvisiertem Preis wird genannt. Laut diesem Bericht habe Jeff Raskin den Besuch bei Xerox vorgeschlagen und auch zeitweise im Lisa-Projekt mitgearbeitet. Beschreibung der Entstehung des Desktop Managers.
PARC scientist Larry Tesler recalls Jobs’ famous Xerox visits von mac-history.netLarry Tesler erinnert sich an die Besuche von Apple bei Xerox PARC. Er war begeistert von der Kompetenz der Apple Experten und es ergab sich ein Erfahrungsaustausch auf Augenhöhe. Diese Erfahrung führte dazu, dass Larry Tesler später zu Apple wechselte und für die LISA Software zuständig wurde.
Lisa Marketing Requirements von Trip HawkinsDer Projektauftrag zum Lisa-Projekt wurde von Trip Hawkins nach dem Xerox Besuch angepasst. Ein Must Read für alle, die einen Business Plan für ein neues Produkt schreiben müssen.
An Interview with Wayne Rosing, Bruce Daniels, and Larry Tesler von tech-insider.orgDer Bericht wird mit dem Untertitel A behind-the-scenes look at the development of Apple’s Lisa beworben. Tesler berichtet über den Einstellungsprozess für Entwickler und das Team Building. Alle berichten über die Herausforderungen eine komplett neue Softwarearchitektur zu entwickeln und neue Hardware wie die Twiggy-Drives zum Laufen zu bringen.
Busy Being Born von Folklore.orgAndy Hertzfeld schreibt in seinem Blog Folklore.org über die Entwicklung des User Interfaces für die Lisa. Die dort abgebildeten Polaroids sind von Bill Atkinson erstellt worden und dokumentieren den Fortschritt von Frühling 1979 bis Frühling 1982.
The Birth of Lisa von Michael Rogers aus Personal Computing 2/83, Seiten 88-94Bericht über die Lisa und Interview mit den Apple-Managern John Couch, Wayne Rosing, Bruce Daniels und Larry Tesler. Laut dieser Quelle wurden Apple-Mitarbeiter durch wissenschaftliche Berichte der Firma Xerox über Smalltalk auf die graphische Benutzerschnittstelle aufmerksam. Auch der Entscheidungsprozess für eine Maustaste wird beschrieben. Interessant erläutert ist auch die Entwicklung der Applikation Lisa Project.
Lisa Online Documentation auf der Seite des Lisa EmulatorsGroßartige Sammlung der kompletten Lisa Systemdokumentation. Die Handbücher der Lisa Business Applikationen sind genauso enthalten wie Dokumentation der Pascal Programmiersprache.
Revisiting Apple’s ill-fated Lisa computer, 40 years on von Ars TechnicaDer erste Beitrag, den ich am 19.1.2023 von Google angezeigt bekommen habe. Auch hier wird Jeff Raskin der Verdienst zugesprochen Steve Jobs auf Xerox aufmerksam gemacht zu haben. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Evolution des User Interface der Lisa und auch der Benutzung dieser Oberfläche und seiner Business Apps.
Inventing the Lisa user interface von Roderick Perkins, Dan Smith Keller und Frank LudolphEin Artikel aus dem Interactions Magazin, Volume 4, Issue 1 von Januar/Februar 1997. Intimer Bericht von Entwicklern des Lisa Desktop Managers. Interessant ist auch die Timeline, die ich im nächsten Kapitel Zeitleiste der Lisa Entwicklungsgeschichte verarbeitet habe
The Lisa: Apple’s most influencial failure vom Computer History Museum (CHM)Beitrag des CHM zum 40. Jahrestag der Lisa. Veröffentlicht zusammen mit dem Lisa Source Code am 19.1.2023. Erwähnung der Pascal Entwicklungsumgebung für die Lisa durch Larry Tesler. Beschreiung der Zusammenarbeit und des Konkurrenzkampfes zwischen Lisa und Macintosh Teams. Kritische Würdigung der Lisa und ihrer Bedeutung für unser heutiges Digitales Leben.
The Architecture of the Lisa Personal
Computer von Bruce Daniels
Ein Beitrag in der Personal Computer 03/1984. Ein Fundus an internen Information zur Entstehung der Lisa vom Software Manager des Projekts. Der von Apple selbst entwickelte Speicherschutz ist dort beschrieben. Auch ist dort erläutert, warum der Motorola 68000 der Lisa nur mir 5 MHz getaktet ist.
Quellen für den Beitrag über die LISA

Zeitleiste der Lisa Entwicklungsgeschichte

  • Oktober 1978: Steve Jobs veröffentlicht den Lisa Projektvorschlag.

  • Frühling 1979: das Lisa Projekt beginnt.

  • Mai 1979: Jeff Raskin veröffentlicht einen Projektvorschlag mit dem Codenamen Macintosh.

  • August 1979: erste Lisa Applikation wird als Prototyp auf einem Apple II gebaut.

  • September 1979: das Macintosh Projekt beginnt.

  • Oktober 1979: erste Hardware mit Bit-Sliced Prozessor von Woz.

  • November 1979: Erster Besuch bei Xerox PARC.

  • Februar 1980: erste Lisa Hardware mit dem Motorola 68000 Prozessor.

  • April 1980: Trip Hawkins veröffentlicht das angepasste Lisa Marketing Requirements Dokument.

  • Juli 1980: Larry Tesler beginnt bei Apple.

  • August 1980: Button Wars – das Team trifft die Entscheidung für die richtige Anzahl Maustasten.

  • September 1980: das Team veröffentlicht das Lisa User Interface Standards Dokument.

  • November 1980: National Computer Conference. Dieses war der ursprüngliche Vorstellungstermin für die Lisa.

  • Januar 1981: Steve Jobs übernimmt das Macintosh Projekt.

  • August 1981: IBM kündigt den IBM PC an. Der zukünftige Industriestandard für Bürocomputer ist damit definiert.

  • Oktober 1981: Xerox veröffentlicht den Xerox Star. Der erste Business Computer mit grafischer Benutzeroberfläche.

  • Februar 1982: erstes erfolgreiches Copy/Paste zwischen Applikationen.

  • März 1982: Jeff Raskin verläßt Apple.

  • März 1982: das Team schlägt den Desktop mit Icons vor.

  • Juli 1982: das Team stellt die erste interne Desktop Release mit Icons fertig.

  • Januar 1983: John Couch und Steve Jobs stellen die Lisa vor.

  • Juni 1983: Apple liefert die Lisa aus.

  • Januar 1984: Steve Jobs stellt den Macintosh in einer denkwürdigen Präsentation vor. Der Beginn des Untergangs der Lisa.

  • 1985: die Lisa wird eingestellt. Lagerbestände sind noch bis September 1989 verfügbar. Die letzten 2700 Lisa werden in einer Müllkippe in Utah vergraben.

Apple setzt 1978 das Lisa Projekt auf

In diesem Jahr überlegten Steve Jobs und Trip Hawkins, was ein Nachfolger des Apple II leisten sollte. Die beiden tauschten sich in einem kreativen Prozess darüber aus, was sie von einem solchen Gerät erwarten würden. Es sollte viel einfacher zu nutzen sein und dem einfachen Anwender mehr Spaß bereiten. Ihre Vorstellung war, dass eine Anzahl von einfachen Menüs auf dem Bildschirm die bis dahin verwendeten Tastenkombination und Befehlseingaben ersetzen sollten. Diese einfachen Menüs sollten den Anwender durch seine Arbeit führen und damit eine bessere Unterstützung leisten. Sie waren sich darüber im klaren, dass der nächste Computer nicht nur ein Stück Hardware sein würde, sondern auch mit der passenden Software integriert werden würde. Nur dadurch würde die perfekte Anwenderunterstützung und eine leichte Bedienung ermöglicht werden. Den beiden wurde klar, dass die Software der Schlüssel zum Erfolg sein würde.

Steve Jobs schlug das Projekt für diesen neuen innovativen Computer vor mit dem Titel LISA Proposal #1 (Steve Jobs, October 18, 1978), siehe dazu Lisa Marketing Requirements Document, Seite 2. Trip Hawkins wurde der Marketing und Planning Manager für das Projekt. Der Projektname war Lisa. Es lief parallel zur Entwicklung des Apple III mit dessen Projektnamen Sarah. Sarah war die Tochter des damaligen Chefingenieurs Wendell Sander. Es wird vermutet, dass Steve Jobs das Lisa-Projekt nach seiner Tochter Lisa Nicole Brennan benannt hat, die am 17. Mai 1978 geboren wurde.

Lisa?

Lange hat Steve Jobs geleugnet, dass er die Lisa nach seiner Tochter benannt hatte. Erst Bono gegenüber habe er dies zugegeben, wie es Lisa Nicole Brennan-Jobs in ihrem Buch Beifang (Small Fry im englischen Original) dokumentiert hat. Bis dahin gab es alle möglichen Bezeichnungen für das Akronym Lisa:
– Large Integrated Software Architecture (lt. John Couch auf der BCS 1981)
– Local(ly) Integrated Software Architecture
– Let’s invent stupid acronyms
– Let’s invent some acronyms
– Lisa – invented stupid acronyms

Beginn der Entwicklung mit HP Personal

John Couch und Steve Jobs
John Couch und Steve Jobs (Quelle: Hugendubel)

Ab 1979 begann die Entwicklung. Da Software zum Alleinstellungsmerkmal und Enabler dieses Computers werden sollte, benötigte man Softwarespezialisten. Man stellte John Couch von HP ein. Er wurde Vice President für Software bei Apple. John Couch war einer der ersten 50 Absolventen, die den neuen Studiengang Computer Science an der UC Berkeley abgeschlossen hatten. Auch weitere HP-Mitarbeiter wurden eingestellt, wie Ken Rothmuller. Er überarbeitete die Projektdokumentation unter „Review of LISA Objectives” (Ken Rothmuller, Document WD 79-17, February 13, 1979), siehe dazu Lisa Marketing Requirements Document, Seite 2. Er war ab Juli 1979 der Projektleiter. Ken Rothmuller verantwortete die Hardware für die Lisa. Bruce Daniels kam auch von HP und wurde Software Manager. Er verantwortete die Systemarchitektur. Während seiner Zeit beim MIT war er einer der Entwickler des Spiels Zork. Ein weiterer HP Mitarbeiter war Rich Page, der als Hardware-Ingenieur in das Projekt mit einbezogen wurde.

Steve Jobs und Jeff Raskin brachten damals einen jungen Bill Atkinson zu Apple. Steve überzeugte ihn seine Promotion abzubrechen und stattdessen sein Know How in die Entwicklung der benutzerfreundlichen Oberfläche bei Apple einzubringen.

Entscheidung für den Motorola 68000 Prozessor

Für die angedachte Software benötigte der neue Computer genügend Hardware Power. Es war klar, dass nicht mehr ein 8bit-Prozessor wie der im Apple II verbaute MOS 6502 Prozessor ausreichen würde. Apple wollte einen 16bit-Prozessor verbauen. Aber der Intel 8086 kam nicht in Frage und der Motorola 68000 war noch nicht so weit. Anfang 1979 sollte Steve Wozniak einen eigenen Apple Prozessor auf Basis der Bit Slicing Technik erschaffen.

Der Prozessor von Woz kam allerdings nicht. Stattdessen entschied sich das Hardware Team nach Empfehlung von Rich Page ab Oktober 1979 für den Motorola 68000, der zu diesem Zeitpunkt verfügbar wurde und sehr vielversprechend war. Er bot einen 24bit Adressraum, der bis 16MB RAM erlaubte.

Aber das erste Ergebnis war ein Produkt, was viel von einem HP Rechner wie den HP 3000 an sich hatte. Steve Jobs war enttäuscht und haderte von diesem Zeitpunkt an mit den HP Ingenieuren, die seiner Meinung nach nicht kreativ und innovativ genug denken konnten. Neue Inspiration wurde gesucht.

Die Xerox-Besuche

Xerox war eine erfolgreiche Firma, die durch Fotokopierer groß wurde. In Brasilien ist der Begriff Xerox ein Synonym für Fotokopie. Ähnlich prägend wie der Begriff Tempo als Synonym für Papiertaschentücher in Deutschland. Das Xerox Management hatte Sorge, dass dieses Geschäftsmodell nicht dauerhaft tragen würde. Computer und das papierlose Büro waren auf dem Vormarsch. Sie schufen in Kalifornien das Xerox PARC, das Palo Alto Research Center. In diesem forschten Wissenschaftler und Ingenieure über die Zukunft des Büros und neue Produkte. Außerdem suchte Xerox Investment-Möglichkeiten in die neue Computerindustrie.

Apple war im Sommer 1979 noch eine private Firma, die zusätzliches Kapital über einen Börsengang bekommen wollte. Xerox nutzte diese Chance und verhandelte mit Apple über ein Kontingent von 100000 Anteilen zum Preis von einer Millionen Dollar vor dem offiziellen Börsengang. Beide Firmen verhandelten aber auch, dass Apple einen Zugang zur Besichtigung der Forschung und Entwicklungen des Xerox PARC bekommen sollte.

Erster Besuch

Steve Jobs und Bill Atkinson
Steve Jobs und Bill Atkinson (Quelle: apple.fandom.com)

Ende 1979 gab es den berühmten Besuch in Xerox PARC (siehe Pirates of Silicon Valley, ab 1:02:00). Je nach analysierter Quelle gibt es unterschiedliche Versionen dieser Geschichte. Eine Quelle erwähnt, dass Jeff Raskin schon vor seiner Apple-Zeit Zugang und Kontakte mit PARC Forschern hatte. Er habe Bill Atkinson gebeten, Steve Jobs auf PARC aufmerksam zu machen. Laut dieser Quelle habe es dann einen ersten Besuch von Steve Jobs und Bill Atkinson bei PARC gegeben. Zu diesem Termin zeigten Mitarbeiter des PARC ihnen Smalltalk und die graphische Entwicklungsumgebung. Steve Jobs bat Bill Atkinson angeblich um eine Einschätzung, wie schnell sie die Software für die graphische Benutzeroberfläche (GUI) schreiben könnten. Bill antwortete: 6 Monate.

Andere Quellen behaupten, dass einige Apple-Mitarbeiter auf Xerox und seine Smalltalk Entwicklungsumgebung aufmerksam wurden, nachdem Xerox einige wissenschaftliche Artikel darüber veröffentlicht hatte. Dies war ein Blick in die Zukunft einer hochaufgelösten Software-Entwicklungsumgebung mit Fenstern und einer Bedienung durch ein neues Gerät namens Maus.

Zweiter Besuch

Alle Quellen belegen aber, dass es einen zweiten Besuchstermin bei PARC gegeben habe, wo neben Steve Jobs auch John Couch, Jeff Raskin, Bill Atkinson, Bruce Daniels und weitere Experten dabei waren. Larry Tesler von Xerox führte zusammen mit Dan Ingalls durch die Demonstration von Smalltalk und beide waren begeistert über das Interesse und die gezielten Fragen der Apple-Experten. Es ergab sich ein angeregter Erfahrungsaustausch und Knowhow Transfer auf Augenhöhe.

So I gave my demo, then Dan Ingalls gave a demo for Smalltalk and they started asking us lot of questions. Bill and, Bruce Daniels was there too, he had joined Apple from MIT… those technical people just asking us questions and we were answering the questions and frankly I was amazed.

Larry Tesler (Quelle: mac-history.net)
Larry Tesler
Larry Tesler (Quelle: New York Times via Tesler Family)

Das Apple Team war mit neuer Inspiration aufgeladen. Sie wussten nun in welcher Art und Weise die Lisa weiterentwickelt werden sollte. Auch Larry Tesler fühlte sich von diesen Besuchen der Apple-Experten inspiriert und entschied sich ein paar Monate später zu Apple zu wechseln und die Verantwortung für das integrierte Softwarepaket, die Entwicklungsbibliotheken, das User Interface Design und das Testing zu übernehmen.

I had looked into Apple earlier, a couple of years before, because someone tried to get me to work there, and I found these people who were Homebrew Computer Club kinda hackers. Suddenly there were all these computer scientists in the room and they were asking really good questions! So I got a completely different view about what Apple was like from that meeting.

Larry Tesler (Quelle: mac-history.net)

Larry Tesler kam vom Stanford AI Lab zu Xerox PARC, wo er für das System Software Team zuständig war. Er gehörte zu den Entwicklern der Gypsy Textverarbeitung, Smalltalk und hatte auch bei der Erfindung von Copy und Paste beigetragen.

Die Lisa bekommt eine neue Richtung

Ab März 1980 wurde die Lisa-Entwicklung Richtung GUI und Maus geändert. Steve Jobs versuchte den Projektleiter Ken Rothmuller davon zu überzeugen die Hardware und den Projektplan anzupassen, um die neuen Features umsetzen zu können. Dieser weigerte sich, weil damit der angestrebte Zielpreis von 2000$ und der Veröffentlichungstermin von Anfang 1981 nicht eingehalten werden konnte.

John Couch entließ mit großem Bedauern seinen Freund Ken Rothmuller wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft. Das Lisa Projekt führte er dann selbst weiter. Neben Larry Tesler fingen eine Anzahl von PARC Entwicklern und Wissenschaftlern bei Apple an und unterstützten die Entwicklung der Lisa.

Apple zahlt Lizenzgebühren an Xerox

Interessanterweise schreibt John Couch in seinem Buch, Apple habe kurz nach den Besuchen bei Xerox 100000 US$ bezahlt für eine unbegrenzte Lizenz zur Nutzung der Alto Technologie. Dieses Detail habe ich vorher in keiner Quelle gefunden.

Trip Hawkins an einem Apple II
Trip Hawkins an einem Apple II (Quelle: The Digital Antiquarian)

Trip Hawkins (späterer Gründer von Electronic Arts) schrieb den Projektauftrag um, damit alle neuen Features aus den Xerox PARC Labors berücksichtigt wurden. Dies beinhaltete die graphische Benutzeroberfläche, die Maus und auch die grundlegenden Bedienkonzepte des Smalltalk Entwicklungssystem bei Xerox PARC. Alles wurde in dem 75-seitigem Dokument Lisa Marketing Requirements festgehalten.

Dieses Dokument legt auf 69 Seiten die Vision von Steve Jobs und Trip Hawkins eines Systems mit einer freundlichen Persönlichkeit fest, das den Anwender emotional anspricht wie ein Auto oder eine Stereoanlage.

LISA must be fun to use. It will not be a system that is used by someone “because it is part of the job” or “because the boss told them to.” For this reason, special attention must be paid to the friendliness of the user interaction and the subtleties that make using LISA rewarding and job enriching.

In addition, the use of graphics in general user interaction will set LISA apart from its competitors and will go a long way toward making the system friendly, easy and enjoyable to use.

Trip Hawkins im Lisa Marketing Requirements Dokument

Apple wollte das Büro der Zukunft mit diesem Produkt schaffen. In Kapitel 6.9 ist das Pointing Device festgehalten. In Kapitel 6.5 wird erläutert, dass das Display einen weißen Hintergrund für den Eindruck von Papier abbilden muss.

This includes the ability to „turn on all the dots“ for better simulation of paper.

Trip Hawkins im Lisa Marketing Requirements Dokument

Im Gegensatz zur später veröffentlichten Tastatur, sind in diesem Dokument noch Softtasten wie beim Xerox Star vorgesehen. 256KB RAM sollen bei der ersten Lisa verbaut werden. Die zweite Version soll maximal 896KB RAM enthalten. Es macht wirklich Spaß, dieses Dokument rückblickend zu lesen.

Nachdem er dieses Dokument abgeschlossen hatte übernahm er die Rolle des Head of Marketing von Apple und hatte dann weniger Berührungspunkte mit dem Lisa-Projekt.

Weiterentwicklung der Lisa ohne Steve Jobs

Jobs verließ im September 1980 das Lisa-Projekt. Dies tat er nicht freiwillig. Tatsächlich war sein Managementstil und seine mangelnde Erfahrung für das Projekt eine Belastung. Einige Quellen behaupten, dass der damalige Apple CEO Michael Scott Jobs aus dem Projekt gezogen habe. Andere wiederum sagen es war John Couch. Dieser führte schließlich das Lisa-Projekt ohne Steve weiter und gilt deshalb heute als der Vater der Lisa.

Steve Jobs suchte sich 1981 mit dem Macintosh Projekt ein neues Handlungsgebiet. Der arme Jeff Raskin verließ daraufhin seine Rolle als Projektmanager des Macintosh Projekts. Er verließ ein Jahr später Apple. Steve Jobs war in der Folge schlecht auf das Lisa Projekt zu sprechen und unternahm alles, um sein Macintosh Projekt mit dem Computer for the rest of us erfolgreich zu machen. Auch wenn es auf Kosten der Apple II und Lisa Gruppen ging. Cohn Couch widersprach aber dieser Ansicht in seinem Buch. Er unterhielt sich in der weiteren Entwicklung mit Steve Jobs und beide teilten Informationen und Mitarbeiter zwischen den beiden Teams. Es war seiner Meinung nach ein kooperatives und kompetitives Miteinander.

Das Management Team und die Mitarbeiter des Lisa-Projekts machten sich daran, die Herausforderungen anzunehmen und umzusetzen.

Apple Lisa team: Paul Baker, Bruce Daniels, Chris Franklin, Rich Page, John Couch, and Larry Tesler.
Apple Lisa team: Paul Baker, Bruce Daniels, Chris Franklin, Rich Page, John Couch, and Larry Tesler (Quelle: mac-history.net)

Apple stellte weitere Mitarbeiter ein wie Wayne Rosing von Digital Equipment Company, der als Director of Engineering die Hardware-Entwicklung der Lisa voranbrachte bis die ersten Pilot-Exemplare gebaut wurden. Danach war er als Technischer Manager des gesamten Lisa Projekts verantwortlich.

Herausforderungen des Projektes

Wayne Rosing und eine Lisa
Wayne Rosing und eine Lisa (Quelle: guidebookgallery.org)

In einem großartigen Interview liefern Wayne Rosing, Bruce Daniels und Larry Tesler Informationen über das Projekt und wie sie die vielen neuen Mitarbeiter in das Projekt integriert haben. Tesler berichtet, dass sie knapp ein Jahr an dem Team Building arbeiteten und erst dann für ein weiteres Jahr am Produkt arbeiteten. Die Herausforderung für das Team war, dass sie parallel an der Hardware, dem Betriebssystem, den Applikationen, den Handbüchern und an den Details des User Interface arbeiten mussten. Alles war neu. Während der Zeit wurden auf Softwareseite fundamentale Konzepte erfunden: Pull Down Menüs, die Darstellung des User Interface mit seinen Fenstern basierend auf QuickDraw-Routinen von Bill Atkinson, die Zwischenablage (Clipboard) und für unterschiedliche Sprachen angepasste Business Software.

Laut Rosing gab es im Lisa Team keinen geistigen Führer. Es gab nur eine Vision, einen geteilten Traum, der die Richtung für das Team vorgab. Es brauchte über zwei Jahre bis man das finale Produkt erkennen konnte und alles zusammenpasste. Man kann es mit einer Filmproduktion vergleichen, wo während des Drehs keiner erkennen kann, wie der Film am Ende aussehen wird.

Die Hardware

Rosing weist auf die Hardware-Herausforderungen hin. Dies beinhaltete die Einbindung von Druckern und die saubere Ausgabe der Druckergebnisse. Außerdem sollten die Twiggy Drives genannten Floppylaufwerke einige Vorteile gegenüber Standard-Floppys bieten. Sie sollten mehr Daten speichern und zuverlässiger sein. Tesler beschreibt den Sicherungsmechanismus für die Floppy-Laufwerke, so dass ein Anwender niemals die Diskette vor der Speicherung aller Daten herausnehmen konnte. Dies erreichten sie durch Software. Dieselbe Sicherung berücksichtigten sie für den Ausschaltknopf. Es waren insgesamt vier Hardware-Revisionen erforderlich, um zur finalen Hardware-Architektur zu gelangen.

Das 12 Zoll große Display mit seinen 720 x 364 rechteckigen Pixeln war eine Designentscheidung, die später hart kritisiert wurde. Aber zum damaligen Zeitpunkt war es wichtig 80 Zeichen pro Zeile darstellen zu können. Die Darstellung von geometrischen Objekten auf dem Screen wurden durch Bill Atkinsons QuickDraw-Routinen korrigiert. Bill Atkinson und Burell Smith vom Mac Team schlugen eine Anpassung auf quadratische Bildpixel vor. Dafür gab es eine Präsentation für das Lisa Management Team. Es hätte viele Vorteile gegeben, wenn diese Anpassung umgesetzt worden wäre. Aber Wayne Rosing lehnte diese große Änderung so kurz vor dem geplanten Veröffentlichungstermin ab.

Der Motorola 68000 in der Lisa war nur mit 5MHz getaktet, anstelle der möglichen 7,9MHz. Dies war anscheinend synchronisiert mit der Refresh-Rate des Bildschirms von 60hz und der Datenmenge, die der Prozessor für die Bildschirmdarstellung regelmäßig aufbereiten musste.

Maus und Tastatur

Die Entscheidung für eine Maus mit nur einer Taste kam laut Tesler aus den intensiven Tests mit Anwendern. Deshalb wurde dann auch die neue Interaktion des Doppelklicks erforderlich, um die Maus zielführend einsetzen zu können. John Couch fand diese Diskussion um die Anzahl der Maustasten lächerlich und trivial. Dagegen fand er die Entscheidung wichtig, dass der Anwender das Gehäuse ohne Werkzeug öffnen konnte.

Auch das Layout der Tastatur mit der Command Taste und dem Apple-Zeichen darauf war ein Ergebnis des Test-Prozesses. Mit dem Shortcut Command+Zeichen konnten die Anwender den Computer auch über die Tastatur bedienen. Steve Jobs kritisierte beim Mac die vielfache Nutzung des Apple-Zeichens im Menü. Er sorgte dafür, dass beim Macintosh ein Zeichen für Campingplätze in Schweden (⌘) anstelle des Apple-Zeichen genutzt wird. Wir finden das Zeichen heute noch auf den Tastaturen der Macintosh Computer. Unter der Tastatur gab es noch vier Keyboard Reference Cards, die man hervorziehen konnte. Dort wurde aufgezeigt, wie man die Maus und die Tastatur bediente. Ein nettes Detail.

Die Software

Das Ergebnis der Arbeit am User Interface hielt das Team in einem 35-seitigen User Interface Standard Dokument fest, berichtet Tesler. Die wichtigste Erfahrung dieses Projektes war allerdings der regelmäßige Test mit Usern. Das Team wählte neue und unerfahrene Apple-Mitarbeiter aus und stellten ihnen das User Interface vor. Aus diesen Sessions kamen so viel positives Feedback und wertvolle Hinweise für die Weiterentwicklung des User Interface bis hin zur Serienreife.

Bruce Daniels mit einer Lisa
Bruce Daniels mit einer Lisa (Quelle: guidebookgallery.org)

Bruce Daniels erläutert, dass der Source Code für das Betriebssystem knapp 10 MB groß ist. Der Apple Lisa Source Code wurde am 19.1.2023 von Apple freigegeben und vom Computer History Museum veröffentlicht. Der Object Code ist dann knapp ein halbes Megabyte groß.

Das Betriebssystem sollte in der Lage sein, alle Business Applikationen gleichzeitig im Speicher zu halten. Außerdem sollten die Anwender über Zwischenablage Daten zwischen den Applikationen austauschen können. Um das leisten zu können waren Konzepte wie Multitasking, Speicherschutz und Virtueller Speicher erforderlich. Die Lisa konnte all dies. Da Motorola noch keine MMU anbot, entwickelte das Projektteam das Speichermanagement selbst. Der Speicher von 1MB war sehr teuer. Zum Vergleich hatte der erste Macintosh von 1984 nur 128KB RAM.

Den Copy/Paste Prozess gab es in dieser Form noch nicht und wurde von Larry Tesler eingeführt. Er sollte in alle Applikationen integriert werden. Dies war allerdings sehr komplex und kostete unglaublich viel Zeit in der Entwicklung. Im Juli 1982 wurde gefeiert, dass alle Applikationen parallel im Desktop Manager laufen konnten. Unter dem Einfluss von viel Champagner schafften es die Ingenieure in dieser Nacht den Copy/Paste-Prozess fertigzustellen.

Die Business Applikationen der Lisa

Und schließlich entwickelte das Lisa Team noch die sieben Business Applikationen, die auf dieser Hardware-Architektur, dem Betriebssystem und dem User Interface aufbauen:

  • LisaWrite: die Textverarbeitung,
  • LisaCalc: die Tabellenkalkulation,
  • LisaDraw: das Vektorzeichenprogramm,
  • LisaGraph: Tool zur Erstellung von Business Grafiken,
  • LisaList: eine einfache Datenbank,
  • LisaProject: ein Projektmanagement Tool,
  • LisaTerminal: zur Anbindung an Netzwerkressourcen über ein Modem.

Sie wurden auch in britisches Englisch, Französisch, Deutsch, Italienisch und Spanisch übersetzt. Die Handbücher für diese Applikationen sind auf der Webseite des Lisa Emulators verfügbar.

Die Entwicklung der graphischen Benutzeroberfläche

Diese Geschichte ist so spannend und wird in vielen Berichten mit Bildern und Anekdoten garniert. Deshalb verweise ich in der Folge auf diese Quellen und hebe nur Besonderheiten hervor, die mir während meiner Analyse aufgefallen sind.

Andy Hertzfeld schreibt in seinem Blog Folklore.org über die Entwicklung des User Interfaces für die Lisa. Bill Atkinson erstellte die dort abgebildeten Polaroids. Sie dokumentieren den Fortschritt von Frühling 1979 bis Frühling 1982.

Schon vor dem Besuch bei Xerox hatte Bill Atkinson mit seinen Grafikroutinen angefangen, die er damals noch LisaGraf nannte. Es war klar, dass ein Bitmap-Layout verwendet werden sollte. Die Hardware sah keinen separaten Grafikprozessor vor und so war eine effiziente Softwarebasis der Schlüssel für performante Grafik auf dem Bildschirm. Die Routinen schrieb er vollständig in Assembler. Diese Grafikroutinen benannte er später in QuickDraw um und portierte sie auf den Macintosh.

Natürlich war der Besuch bei Xerox und die Präsentation von Smalltalk mit seinen Fenstern eine neue intellektuelle Herausforderung für Bill Atkinson. So glaubte er bei Smalltalk überlappende Fenster gesehen zu haben, deren freigelegte Bildregionen nach einer Fensterverschiebung einen automatischen Refresh erhalten. Tatsächlich hatte Smalltalk keine selbst-reparierenden Fenster. Man musste auf diese Fenster klicken, damit sie aktualisiert wurden. Er löste dieses Problem mit dem Konzept von Regions auf der Basis von Quick Draw in Verbindung mit dem Window Manager.

Eine weitere intellektuelle Herausforderung kam von Steve Jobs. Laut Steves Beobachtung ist in der Natur alles abgerundet und er forderte Bill auf abgerundete Rechtecke in seinen Grafikroutinen vorzusehen. Einen Tag später hatte er diese Aufgabe bereits umgesetzt. Dieses neue Grafikobjekt verwendete das Lisa Team in der Folge in vielen Bereichen des User Interfaces.

Der Desktop der Lisa erhält seinen finalen Schliff

Ein Artikel aus dem Interactions Magazin, Volume 4, Issue 1 von Januar/Februar 1997 liefert einen intimem Bericht von Entwicklern des Lisa Desktop Managers. Sie zeigen auf (mit vielen Bildern) wie sich der Desktop Manager der Lisa zwischen 1979 bis 1982 verändert hat. Auch hier wurde durch die Nutzertests evolutionär die Desktop-Metapher immer weiterentwickelt. Icons wurden zuletzt in das User Interface integriert. Auch Andy Hertzfeld berichtete über die kurzfristigen Änderungen am Desktop Manager kurz vor dem Ende des Entwicklungszeitraums. Ein dreiviertel Jahr vor Veröffentlichung der Lisa wurde die Desktop-Oberfläche komplett neu designt. Dies wurde nur möglich, da Bill Atkinson und die Entwickler den verantwortlichen Manager Wayne Rosing überzeugen konnten, den Zeitplan noch ein wenig mehr zu strecken.

Interaktionen zwischen den Lisa und Macintosh Teams

Zwei Projekte mit vergleichbaren innovativen neuen Produkten (siehe meinen Vergleich Lisa vs. Macintosh) gleichzeitig in einer Firma laufen zu lassen ist schon ein großer Luxus. Das war nur möglich, da die Cash Cow Apple II zuverlässig hohe Umsätze und Gewinne einbrachte.

Die Lisa und Mac Teams tauschten gegenseitig ihre Erfahrungen bei der Entwicklung aus. Aber es gab auch andere Stimmen, die meinten, dass Steve Jobs mit dem Macintosh die Position der Lisa innerhalb Apple und auf dem Markt schwächt. Außerdem waren beide Systeme nicht zueinander kompatibel.

Lisas Software Manager Bruce Daniels verließ tatsächlich für eine kurze Zeit das Lisa Projekt, um im Macintosh Projekt mitzuarbeiten. Er beeinflusste dabei die Richtung des Macintoshs sehr in Richtung des Lisa GUI. Dies galt besonders auch für Bill Atkinson und Andy Hertzfeld, die dann aber dauerhaft im Macintosh Team blieben. Die beiden Projektleiter John Couch und Steve Jobs sorgten für einen internen Konkurrenzkampf zwischen den Lisa und Mac Teams. Dazu gibt es zwei erwähnenswerte Geschichten:

  1. Es gab eine 5000$ Wette zwischen John Couch und Steve Jobs, welches Team als erstes liefert. Das Lisa Team gewinnt. Steve Jobs organisierte daraufhin eine Riesen-Party für das Lisa Team und übergab einen riesigen Scheck über 5000$. Laut John Couchs Buch wurde diese Wette am 20.4.1981 geschlossen. Aber zu diesem Zeitpunkt war die Lisa schon offiziell angekündigt. Wahrscheinlicher ist der 20.4.1980.
  2. Das Lisa Team klaut die Piratenflagge des Macintosh Teams.

Weitere Besonderheiten des Lisa Projekts

Die Xerox PARC Release von Smalltalk-80, v1 wurde auf die Lisa postiert. Weil laut Tesler diese aber zu langsam war, entwickelt er eine objektorientierte Pascal-Version, die er Clascal nannte. Aus diesem entstand später das offizielle Object Pascal unter Mitwirkung des Vaters der Programmiersprache Pascal, Niklaus Wirth. Object Pascal wurde ab 1985 auf dem Macintosh verwendet.

Die Lisa Softwarearchitektur war für Business Kunden und ihr Bedürfnis nach Vertraulichkeit ihrer Daten ausgelegt. Deshalb gab es auch die Möglichkeit der Verschlüsselung der Dokumente. Außerdem wurden die Lisa Business Applikationen beim erstmaligen Start mit einer eindeutigen System ID der Lisa verbunden. Diese Software war damit nur noch auf diesem Rechner nutzbar. Das war wohl eine frühe Version des Digital Rights Management (DRM).

Das Lisa Projekt repräsentiert einen Entwicklungsaufwand von ca. 200 Mannjahren. Dies entsprach über 150 Millionen US$ in Forschung und Entwicklung laut einer Quelle. John Couch dagegen erwähnte in seinem Buch einen Aufwand von 50 Millionen US$ für die Entwicklung der Lisa. Für den Apple II sind 25 Mannjahre und für den Apple III zwei Mannjahre Entwicklungsaufwand aufgelaufen.

Dokument-zentrisch vs. Applikations-zentrisch

Die Lisa Software Architektur sah ein Dokument-zentrisches Modell vor. Dies ist anders als die heute weitgehenden Applikations-zentrischen Modelle, wie dies schon beim ersten Macintosh der Fall war. Für jeden Dokumenttyp gab es bei der Lisa ein sogenanntes Stationery Pad (eine Art Template). Damit erzeugte man ein neues Dokument, indem man ein Blatt abriss und auf dem Desktop ablegte. Wenn man stattdessen eine der sieben Business Apps startete erhielt man eine Fehlermeldung mit dem Hinweis auf die Nutzung des Stationery Pad.

Heutzutage speichert man Dokumente regelmäßig. Dies musste man bei der Lisa nicht machen. Sie sorgte für eine redundante Sicherung der Dokumente im Hintergrund, ohne dass der Anwender was davon merkte. Im Umgang mit den Dokumenten gab es aber zwei spezielle Befehle:

  • Save & Put Away: dies wählte man, wenn man das Dokument nicht mehr brauchte. Die Datei wurde dann wieder auf den Datenträger geschrieben und geschlossen. Sie verschwand dann auch vom Desktop, wenn sie vorher dort abgelegt war.
  • Set Aside: damit wurde das Anwendungsfenster geschlossen und das Dokument wurde zur weiteren Verwendung auf dem Desktop abgelegt. Dokumente und Ordner auf dem Desktop konnten durch den Befehl Put Away wieder auf dem Datenträger gespeichert werden und wurden automatisch vom Desktop entfernt.

Vorstellung der Lisa vor 40 Jahren

Apple stellte die Lisa am 19. Januar 1983 der Welt zu einem unglaublich hohen Preis von 9995$ vor. John Couch und Steve Jobs präsentierten beide die Lisa. Steve Jobs war nicht mit dem Herzen dabei. Er und sein Macintosh Team hatten die interne Wette verloren. Die Lisa war da und nicht der Macintosh. Aber sie wurde erst im Juni in Stückzahlen verkauft. Von diesem Termin liegt mir leider kein Videomaterial vor. Aber eine Woche später stellte John Couch zusammen mit seinem Team die Lisa bei der Boston Computer Society vor. Davon gibt es ein gut erhaltenes Video. Vielen Dank dafür.

Die Lisa wurde von der Bedienung her als langsam wahrgenommen. Die Architekturentscheidungen und der nur mit 5 MHz getaktete Prozessor zeigten Wirkung. Die Twiggy-Laufwerke waren unzuverlässig. Damals ist laut John Couch Lisas Gesetz entstanden.

Lisas Gesetz: wenn ein Teil eines Computers kaputt ist, ist das Ganze kaputt.

John Couch, aus My Life at Apple: And the Steve I Knew

Bei jeder Präsentation der Lisa verwies Jobs auf den kommenden Macintosh, der viel günstiger und schneller sein sollte. Das war sehr kontraproduktiv für den Vertrieb der Lisa. Viele Bestellungen wurden zurückgezogen, auch wegen Steve Jobs Andeutungen für das Next Big Thing.

Wieviel Ähnlichkeit hat die Lisa mit dem Xerox Star?

Die Lisa ist als eine Revolution im Computermarkt aufgenommen worden. Aber immer wurde natürlich die Frage gestellt, wie viel dabei von Xerox gestohlen worden ist. Immerhin war der Xerox Star schon 1981 auf den Markt gekommen. Seitdem zerbrechen sich Autoren den Kopf darüber, wie sich diese beiden Systeme unterscheiden und welches System tatsächlich der Vater der graphischen Benutzeroberflächen ist, die wir auch heute noch so nutzen. Ein großartiges Video beschreibt die unterschiedlichen Philosophien in der Benutzung dieser beiden Computer.

Vergleich der Bedienphiosophien von Apple Lisa und Xerox Star (Quelle: Felix Winkelnkemper)

Wenn man diese Präsentation sieht, dann erkennt man, dass die Lisa Designer ihre eigene Architektur entwickelt haben. Natürlich gab es ex-Xerox Mitarbeiter in den Lisa und Mac Teams, aber die inhaltliche Ausgestaltung war anders und nachvollziehbar evolutionär. Man kann deswegen von zwei völlig unterschiedlichen Philosophien sprechen.

Apples Werbungen zur Lisa von damals sind interessant. Eine Werbung thematisiert die Tagline, mit der die Lisa vorgestellt wurde: Apple invents the personal computer. Again. Eine andere Werbung zeigt den damals noch unbekannten Kevin Costner, der auch in seiner Freizeit den Lisa-Arbeitscomputer nutzt. Die meiner Meinung nach beste Werbung von Apple zeigt auf wie man ein Personal Office System wie die Lisa verwenden sollte. Eine beeindruckende Präsentation des Schauspielers. Nur den Schnurrbart muss man entfernen 😉. Außerdem baute das Apple Marketing Team einen Lisa Sneak Room in Cupertino auf, den sie Vertriebspartnern und Business Kunden zeigten. Dort konnte man das Büro der Zukunft mit sechs Lisa Computern kennenlernen. Heute würde man sowas als Executive Briefing Raum bezeichnen.

John Couch trat auch selbst bei Computer Chronicles (ab 4:14) auf und präsentierte sein Werk den beiden Gastgebern der Sendung, Stewart Cheifet und Gary Kildall. Er musste sich dabei auch kritischen Fragen bezüglich der Ernsthaftigkeit einer graphischen Benutzeroberfläche im Business Bereich stellen.

Der Beginn des Endes der Lisa

Im Januar 1984 kam dann der Macintosh auf den Markt. Als kleiner Bruder der Lisa hatte er kein Multitasking oder Speicherschutz. Dieser Computer war auf minimalen Speicherplatz optimiert. Beispielsweise benötigte der Finder nur 46K auf Diskette.

Im Januar 1984 kam auch die Lisa 2 mit dem 3,5“ Diskettenlaufwerk von Sony raus. Der Preis hatte sich nahezu halbiert. Die Lisa wurde vor allem als Entwicklungsumgebung für den Mac benötigt. Apple hat knapp 60000 Lisas in zwei Jahren verkauft.

Im September 1989 beschloss Apple die Lisa endgültig vom Markt zu entfernen. Sie war seit 1985 nicht mehr hergestellt worden, aber es gab reichlich Lagerbestände, die unverkäuflich waren. Die restlichen noch vorhandenen 2.700 Lisas wurden auf einer Deponie in Logan, Utah, vergraben. Wo die Deponie genau lag, ist inzwischen vergessen.

Hier eine kurze Tabelle zum Vergleich von Lisa und Macintosh.

EigenschaftLisaMacintosh
RAM1MB128KB
Max. RAM2MBnicht erweiterbar. Auf 1MB erweiterbar nur durch Macintosh Plus 1MB Logic Board Kit
Bildschirmgröße12″9″
Bildschirmauflösung720×364, rechteckige Pixel512×342, quadratische Pixel
PixeldichteHorizontal: 90dpi; Vertikal: 60dpi72dpi
MassenspeicherZwei Twiggy-Floppys 5,25″ mit 871KB, 5MB ProFile HDEine Sony-Floppy 3,5″ mit 400KB, kein Festplattenanschluss
präemptives MultitaskingJaNein
SpeicherschutzJaNein
Virtueller SpeicherJaNein
Mitgelieferte Business Applikationen72 (Mac Write und Mac Paint)
TastaturMit Ziffernblockoptional: mit Ziffernblock
ProzessorMotorola 68000 mit 5MHzMotorola 68000 mit 8MHz
Erweiterungsslots3Keiner
TaglineApple invents the personal computer. AgainIntroducing Macintosh. For the rest of us
Preis9995$2495$
Datum der Vorstellung19.1.198324.1.1984
Vergleich der Lisa und Macintosh Eigenschaften

Was ist von der Lisa geblieben?

Mit LisaEm gibt es einen Lisa Emulator. Auf dessen Webseite ist auch die komplette Dokumentation von Apple zur Lisa und den Business Applikationen einsehbar. Dort liegt auch der Lisa Product Introduction Plan. Ich empfehle jedem die Risikobetrachtung ab Seite 54 zu lesen.

Die Helden von damals treten auf unterschiedlichen Veranstaltungen auf und präsentieren die Vision von damals. Zum Beispiel Frank Ludolph und Rod Perkins auf der Chi 98 mit einer großartigen Livedemo (ab 10:30).

Livedemo von Frank Ludolph und Rod Perkins auf der Chi 98 (Quelle: DigiBarn TV)

Der Verantwortliche für das Lisa Projekt, John Couch, bringt im Jahr 2021 sein Buch My Life at Apple: And the Steve I Knew auf den Markt.

Webseiten halten die Erinnerung an die Lisa wach:

Und einen Film über die Lisa wird es auch bald geben. Sein Titel ist Before Macintosh: The Apple Lisa. Auf der Webseite erfährt mal alles über die Interviewpartner und den geplanten Veröffentlichungstermin. Zur Zeit ist die Veröffentlichung für Anfang 2023 angekündigt.

DIE Nachricht am 40. Jahrestag war aber vom Computer History Museum (CHM) in Mountain View, Kalifornien. Apple gibt den Apple Lisa Source Code über das CHM frei.

Fazit

Es hat mir unglaubliche Freude bereitet in die Tiefen der Geschichte dieses vergessenen Computers zu tauchen. Ich bin froh, dass Zeitzeugen über ihre Arbeit an diesem Computer geschrieben und gesprochen haben. Es ist faszinierend nachzuerleben, wie aus einem mehrjährigen Projekt am Ende ein revolutionäres neues Produkt entstanden ist. Die Arbeit dieser Pioniere ist leider durch den alles überstrahlenden Marketingerfolg des Macintosh nicht genügend gewürdigt worden.

Die Lisa war kein kommerzieller Erfolg, auch wenn John Couch in seinem Buch von knapp 100000 verkauften Lisa schreibt und knapp 1 Milliarde US$ Umsatz damit verbindet. Die Lisa war aber ein großer Forschungserfolg. Die von John Couch als Lisa Technology bezeichneten Grundlagen sind nicht nur im Macintosh wiederverwendet worden, sondern sind heute die Grundlage in der Anwendung jedes Computers geworden.

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